Der Berliner Martin Gropius Bau zeigt Felsbilder aus der Sammlung Frobenius und untersucht, wie sie moderne Künstler beeinflussten
Prähistorische Felsbilder zählen zu den ältesten Zeugnissen menschlicher Kunst. In den 1920er und 1930er Jahren stießen diese Figuren und Kompositionen aus Höhlen oder von Felswänden in Wüsten auf großes Interesse unter den Künstlern, begriff man sie doch als Zeugnisse einer ursprünglichen und unverbildeten Ausdrucksform. Als andere Beispiele dafür verstand man nur noch Zeichnungen sowie Gemälde von „Naiven“ (Kindern, psychisch Kranke) und von „Primitiven“ (wie man indigene Völker damals nannte).
Noch bis zum 16. Mai 2016 sind im Berliner Martin Gropius Bau rund 100 historische Kopien solcher uralter Felsbilder zu sehen.
Welche Wirkung diese zuvor ungesehenen Bilder auf die Moderne hatten und wie sie Künstlerinnen und Künstler inspirierten, ist eines der Themen der Ausstellung mit dem Titel „Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius“. Daneben geht es auch darum, wie die von Hand mit Kohlestift oder Pinsel abgemalten Kopien ihrerseits allmählich den Status von künstlerischen Originalen erlangten.
Oft an unzugänglichen Orten, in Höhlen oder Wüsten zu finden, wurden die geritzten oder gemalten Originale einer breiten Öffentlichkeit in den europäischen und amerikanischen Metropolen in Form von großformatigen Kopien bekannt. Die weltweit bedeutendste Sammlung dieser Kopien hatte der deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873-1938) angelegt. Seit seiner sechsten Afrikareise im Jahre 1912 hatte er Malerinnen und Maler als Kopisten auf seine zahlreichen Expeditionen mitgenommen.
Die schon damals berühmten Originale an Felswänden in Nordafrika, der inneren Sahara und des südlichen Afrika wurden vor Ort und oft unter abenteuerlichen Umständen abgemalt. Später entsandte Frobenius auch Expeditionen in die europäischen Felsbildgebiete Spaniens, Frankreichs, Norditaliens und Skandinaviens sowie nach Indonesien und Australien.
Bis zu seinem Tode 1938 entstand so eine Sammlung von fast 5000 Felsbildkopien, farbig und meist in Originalgröße mit Formaten von bis zu 2,5 x 10 Metern, die sich bis heute im Frobenius-Institut an der Frankfurter Goethe-Universität befindet. Einige Exemplare sind in der Ausstellung in Berlin zu sehen.
Über die Wirkungsgeschichte der frühesten Kunstwerke von Menschen war sich schon 1937 Alfred Barr, junger Gründungsdirektor des Museum of Modern Art (MoMA) in New York, sicher: „Die Kunst des 20. Jahrhunderts steht bereits unter dem Einfluss der großen Traditionen der prähistorischen Felsbilder”. Entsprechend zeigte er gleichzeitig mit den Felsbildern auch Werke von Künstlern wie Klee, Miró, Arp und Masson.
In den 1930ern tourten Zusammenstellungen mit den Kopien durch fast alle europäischen Hauptstädte sowie durch 32 amerikanische Großstädte. In gefeierten Ausstellungen wurden sie unter anderem im Berliner Reichstag, im Pariser Trocadéro und im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt.
Im Werk Willi Baumeisters gab es beispielsweise um 1929/30 einen Stilwechsel, in dem verschiedene von den Felsbildern bekannte Gestaltungselemente und Techniken zur Anwendung kamen. Bei anderen Künstlern ist die Beeinflussung subtiler. Sicher haben die Surrealisten in Europa maßgeblich vom Dialog mit der prähistorischen Kunst profitieren können, aber auch im Werk von Jackson Pollock gibt es entsprechende Hinweise.
Festzuhalten ist aber auch, dass man das Abmalen der Originale nicht mit einer Kopie wie etwa durch ein Foto gleichsetzen kann. Denn auch den Kopisten war das große Interesse der Avantgarde an den Felszeichnungen nicht verborgen geblieben, und so stellten sie Experimente an, um mit Farbe und Textur die Struktur des felsigen Untergrundes nachzuahmen oder mit der Verwitterung und Lückenhaftigkeit der Motive zurechtzukommen. Zahlreich lassen sich individuelle
Stile und zeitgenössische künstlerische Einflüssen belegen.
So veränderten die Werke im Lauf der Zeit ihren Status und wurden von bloßen Kopien zu Originalkopien, bis sie schließlich als Originale galten. Sie erreichten den Status einer Kunst sui generis, das heißt sie gelten als einzigartig in ihren Charakteristika, und wurden zum Leitfossil einer vergangenen Wissenschaftsepoche, in der Wissenschaft und Kunst noch selbstverständlicher miteinander verquickt waren. Der deutsche Ethnologe Mark Münzel schrieb: die Bilder sind Ausdruck eines „wissenschaftlichen Expressionismus“.
Die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Hahn-Hissinck’sche Frobenius-Stiftung haben zur Restaurierung der Werke großzügig beigetragen.
„Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius, Martin Gropius Bau, Berlin, bis 16. Mai 2016
(05.02.2016)