Die rumänische Bildhauerin benutzt das Labyrinth, die Spirale, das Sechseck und mehr und zeigt die Fragen nach Sinn, Zeit, Transzendenz…
Um die Kunstwerke von Ana Maria Negară zu verstehen, ruft man sich am besten die Höhlenzeichnungen aus grauer Vorzeit vor das innere Auge: was dort dargestellt wurde, geht – vielleicht – weit über die bloßen Gestalten von Tieren oder Menschen hinaus – es sind möglicherweise Symbole, mit denen die damaligen Künstler auch ihre Gedanken darstellten. Die Arbeiten der rumänischen Bildhauerin sind ebenfalls voll von uralten Symbolen, zum Beispiel ihre vielfältigen Variationen zum Thema Labyrinth: ein Labyrinth stellt abstrakt und verfremdet den Weg durchs Leben an ein Ziel dar, mit Irrungen und Wirrungen, aber am Ende doch zielführend. Ganz anders übrigens der Irrgarten, noch so eine symbolische Darstellung, die allerdings, wie der Name sagt, nur in die Irre führt.
In der Arbeit „The Flower of Life“ greift Ana Maria Negară zum Beispiel auf die uralte Blume des Lebens zurück, geometrisch gesprochen auf das Sechseck. Dem begegnet man auch in den Bienenwaben.
Auch die Spirale ist solch ein Menschheitsmotiv, manchmal gemeint als Wirbel, der das Leben verschlingt, manchmal als Übergang zu einer anderen Welt.
Damit sind wir bei den Traditionen der Kunst angekommen, und diese sind in theoretischer Hinsicht das große Thema von Ana Maria Negară. Denn sie hat nach ihrem Studium der Bildhauerei an der George Enescu University of Arts in der Stadt Iasi anschließend dort noch eine Doktorarbeit in Darstellenden Künsten [Visul Arts] draufgesattelt. An der Abschlussarbeit ging es um „Tradition und Modernität in der gegenwärtigen Bildhauerei“ und sie kam zu einer nüchternen Schlussbilanz: die Künstler, die sich als modern verstehen, können das nur auf der Basis der Tradition tun, und, mehr noch, das Kritisieren der Tradition durch die Modernisten ist inzwischen selber zu einer guten Tradition geworden.
Dennoch schlägt sie sich in ihrer Arbeit gleichzeitig auf die Seite der Modernisten, wie wir in der englischen Kurzfassung gelesen haben: „Ich stimme ganz und gar der Position zu, dass ein Künstler um jeden Preise das Neue und Originelle suchen soll.“ Sie schreibt „um jeden Preis“ und, in der Tat, Ana Maria Negară, ist streitbar und, so vermuten wir, wird sie bei den zahlreichen Bildhauersymposia, zu denen sie eingeladen wird, keiner Debatte aus dem Weg gehen und wird bei ihrer aktuellen Tätigkeit an der Universität gegenüber den Studenten ihre Positionen auch deutlich machen.
Jedoch: neben Ernsthaftigkeit haben wir in ihrer Kunst auch Selbstironie und Humor gefunden. So gibt es von ihr ein paar Fotos von ihr mit Yoga-Geste oben auf einer Labyrinth-Säule sitzend, und da wollten wir natürlich Genaueres dazu wissen.
Sie ließ sich unsere Frage gefallen und antwortete offen: sie sei in jener Situation sozusagen am Zielpunkt des jenes Labyrinthweges angekommen, und sie merkt locker an, dass sie damit auch die notwendige Ruhepause nach etlicher Plackerei an der Granitsäule meint.
Andererseits sei es auch ein Teil von ihr, Freude und Spaß bei der Bildhauerei zu erleben: „Es gehört zu meinem Lebensstil, oder besser gesagt, zu meiner Lebensphilosophie, über Probleme und Herausforderungen aller Art zu scherzen.“
Schließlich stellt so ein Labyrinth auch eine wochenlange geistige Arbeit dar, denn so lange ist sie mit der Vorbereitung beschäftigt, um den Verlauf der Linien zu konzipieren.
In den Mustern, die sie dann auf den Stein bringt, kann der Betrachter wiederum verborgene Symbole entdecken und mit ihr auf die gedankliche Reise gehen.
Ana Maria Negară wuchs bei kunstinteressierten Eltern auf, die, wenn sie die Chance gehabt hätten, wohl selber zu Künstlern geworden wären. Die Mutter war Lehrerin für Literatur und praktizierte Performance-Gymnastik. Der Vater belegte Kurse in Malerei, wurde aber zum Ingenieur, weil es die Eltern so wollten.
Sie selbst beschäftigte sich an der High School zunächst mit Holz, „weil es so toll riecht und so tolle Farben hat“. Was ihr daran aber missfiel, war seine Vergänglichkeit.
Bei einem Kunstfestival ausgerechnet in der Stadt von Constantin Brancusi entdeckte sie dann den Stein und „verliebte sich unwiderruflich in dieses Material … das dem Bildhauer alles abverlangt: Energie, Zeit, Aufmerksamkeit, Sanftmut und Liebe“, wie sie schreibt.
Und weiter: „Wie andere Materialien reagiert auch der Stein auf die Leidenschaft und Energie, die der Bildhauer bei seiner Arbeit an den Tag legt.“ Neben einer sehr rationalen Sichtweise der Dinge ist ihre Weltwahrnehmung geprägt von der Suche nach Transzendenz und den Dingen zwischen Himmel und Erde.
„Meine Bildhauerei verfolgt einen Ansatz über einzelne Disziplinen (des Denkens) hinweg, ich möchte Elemente aus der Kunst, der Wissenschaft, der Philosophie und der Theologie miteinander verbinden und zusammenführen, und gerade deshalb bin ich der Meinung, dass beide Arten von Kunst (Tradition und Moderne) gleichermaßen tiefgründig, schön und mit Bedeutung und Sinn aufgeladen sind.
(23.06.2023)