Die Oberfläche trägt Spuren von Autorennen und die Felge ist wie die Rosette einer Kathedrale gestaltet
Ein Rad von 3 m Durchmesser und 6 t Gewicht wäre selbst für Monstertrucks nicht zu gebrauchen. Nun aber gibt es solch ein Objekt, gefertigt aus weißem Carrara Marmor, aufgestellt vor einem Autohaus für Luxuswagen in Coral Gables nahe Miami. Zwar könnte man es wahrscheinlich für ein Fahrzeug benutzen, denn das Rad ist so exakt rund, dass es mit geringem Anstoß ans Rollen kommen würde. Aber es handelt sich um ein Kunstobjekt.
Zwei Jahre arbeitete der italienische Bildhauer Fabio Viale in den Werkstätten der renommierten Marmorfirma Margraf in Norditalien an dem Stück.
Der Künstler ist bekannt für Skulpturen, die gezielt widersinnig sind: eine Arbeit war zum Beispiel ein kleines Boot aus weißem Marmor, mit dem er tatsächlich über die Kanäle in Mailand schipperte; eine andere zeigt Wanddübel aus dem edlen Stein, einen Papierflieger oder ein Stück wie Styropor.
Gerne verziert er den Stein auch mit Tattoos.
Viale ist ein Täuscher, hatten wir in einem Portrait geschrieben, und tatsächlich braucht der Betrachter eine Weile, bis er das Spiel mit dem Material erkennt und die Künstleridee genießen kann.
Auftraggeber war diesmal der italienisch-stämmige Immobilientycoon Ugo Colombo.
Der Marmorreifen wurde im Frühjahr 2023 vor dem neuen Autohaus installiert, das Colombo 1994 gekauft hatte. Dort werden Wagen von 7 bekannten Marken zum Verkauf angeboten, nämlich Jaguar, Porsche, Ferrari, Maserati, Aston Martin, Audi, and McLaren.
„Rotas“ ist der Name des Kunstwerks, das lateinische Wort für Wagenräder oder Scheiben.
Aber Viale wäre nicht Viale, wenn er dem Rad bloß die außergewöhnliche Größe gegeben hätte.
So ist die Oberfläche aus Marmor extrem penibel bearbeitet, so dass man dort Spuren finden kann, wie sie typisch für die Pneus von Rennwagen sind.
Und die Felge hat er nach Art der Fensterrosen in Kathedralen des Mittelalters gestaltet. Großartig ist die Ausführung durch den Künstler und die Mitarbeiter der Firma Margraf.
Hochfliegende Interpretationen findet man rund um das Werk: „Das symbolische Design veranschaulicht, wie die Kunst des Rennsports sich um die Spiritualität des Menschen und sein ständiges Streben nach Fortschritt dreht“, heißt es in einem Pressetext. Oder in einem Bericht: „Rotas zelebriert die Schönheit Italiens durch eine zarte Gegenüberstellung von Kunst und Funktionalität.“
Wir nehmen es einfacher und sagen: Viale hat auf die kuriose Geschichte des Standortes eins draufgesetzt.
Denn in den 1920er Jahren plante und erbaute George Edgar Merrick die Stadt nicht weit von Miami und mit Gebäuden nach spanischem Vorbild im Zentrum.
(25.09.2023)