(Dezember 2011) Wer den unendlich mühsamen Weg flussaufwärts durch die Täler des Inguri und Tskhenistkali auf sich genommen hat, wird nicht nur durch die Sicht auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus belohnt, sondern stößt auch auf seltsame Dörfer: Sie haben hohe Türme, die aus der Ferne wie Schornsteine aussehen, von nahem sich aber als viereckig herausstellen, und um die Türme herum gibt es nicht Fabriken, sondern in Stein gemauerte Bauerngehöfte.
Die Svaneti Towers (Svaneti-Türme) im Hohen Kaukasus im Staat Georgien wurden von den Juroren des alle zwei Jahre vergebenen Internationalen Preises für Architektur mit Naturstein ausgewählt und sind in dem Katalog dazu ausführlich beschrieben. Wir stellen im Folgenden die Projekte vor.
Errichtet wurden die Svaneti-Türme zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Ihr Material ist lokaler Glimmerschiefer, der sich leicht spalten und zum Bauen in Brocken von 15 bis 20 cm Dicke bringen lässt.
Vier oder fünf Stockwerke sind die Türme hoch. Sie dienten als Fluchtburgen, teils vor feindlichen Angreifern, genauso auch bei Streitigkeiten zwischen den Dörfern oder innerhalb der Clans. Die großen zweistöckigen Bauernhäuser, die an die Türme angebaut sind, blieben während solcher Krisensituationen ohne Schutz.
Von den ehemals einigen Hundert dieser Anlagen sind derzeit weniger als 150 intakt. Seit 1996 sind sie ins Unesco-Kulturerbe der Menschheit aufgenommen, jedoch heißt es im Katalog, dass dringend mehr für ihren Schutz getan werden müsste. Erstmals beschrieben und photographiert wurden sie von italienischen Alpinisten vor etwa 100 Jahren.
Übrigens: Ähnliche Türme entstanden etwa zur gleichen Zeit auch woanders in Europa, zum Beispiel in den Stadtstaaten der italienischen Toskana. Dort dienten sie ebenfalls militärischen Zwecken, aber auch der Selbstdarstellung der herrschenden Familien. Die Dörfer im Kaukasus sind jedoch nicht mit einer Stadtmauer umgeben, anders die italienischen Städte.
Eine ungewöhnliche Verbindung von Alt und Neu zeichnet das Anávyssos House (Anávyssos Haus) an der griechischen Küste unweit von Athen aus: Alt ist zum einen das Material der Mauern, nämlich lokaler Granit, alt ist auch der Anklang an antike griechische Tempel, neu ist das Dach aus Stahlbeton, welches das einstöckige Gebäude optisch nach unten drückt. Das Gebäude direkt an der Straße zum Poseidontempel am Cap Sounio wurde von dem griechischen Architekten Aris Konstantinidis in den Jahren 1962 bis 1964 erbaut.
Die massiven Mauern sind von Steinmetzen mit Mörtel zusammengefügt und 50 cm dick. Der Fußboden im Inneren ist mit Platten von Glimmerschiefer belegt.
Schon kurz nach der Fertigstellung wurde der Bau heftig kritisiert. Er sei „versunken“ in der Landschaft hieß es. Heute gehört das Haus zur Villenanlage eines Reeders und dient als Abstellraum. Die Fotos hat der Architekt kurz nach der Fertigstellung selber geschossen.
Heikel war die Verbindung von Tradition und Moderne bei dem Shiva-Tempel im Dorf Wadeshwar zwischen Mumbai und Poona. Denn für solch ein Gotteshaus gibt es genaue Bauvorschriften, weil es für die Ausübung der Rituale im Gottesdienst ebenfalls genaue Regeln gibt.
Der Architekt Sameep Padora nun wollte etwas Moderneres, aber gleichzeitig die Regeln beachten.
So verlegte er die übliche quadratische Halle („Mandapa“) dieser Gotteshäuser, in der die Menschen zum Beten zusammenkommen, nach draußen. Unter freiem Himmel auf dem Gelände gibt es nun einen Ort zum Beten. Nicht Wände, sondern Bäume fassen in ein.
Das zweite traditionelle Element eines hinduistischen Gotteshauses behielt Padora bei, wenn auch mit Änderungen. Denn eigentlich ist die „Garbhagriba“ ein dunkler Raum mit einem spitzen Dach („Shikhara“). In dem Gebäude hat die Gottheit ein Zuhause.
Padora behielt die Spitze Form des Daches bei, riss es aber auf, so dass Licht von oben hineinfällt. Auch den Eingang gestaltete er wie noch nie gesehen: eine Ecke ist aus den steinernen Wänden herausgebrochen und an ihre Stelle ist eine Art Box aus Stahl und Holz eingesetzt.
Übrigens: Der Architekt arbeitete kostenlos. Und auch die Handwerker steuerten ihre Leistung ohne Bezahlung bei. Das Material ist Basalt aus der Nähe.
In Spanien liegt ein anderes der prämierten Projekte. Es handelt sich um die ehemalige Gerberei von Puente Sarela unweit von Santiago de Compostela. 1790 war die Anlage errichtet worden. Im Lauf der Jahre wurde sie zu einer richtigen Fabrik ausgebaut und war zuletzt über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Nun wurde sie mit einem Hotelkomplex zu neuem Leben erweckt. Architekt war der Spanier Victor López Cotelo.
In Stufen erklimmt die historische Anlage den Hang am Fluss: direkt am Wasser liegt die Gerberei, darüber eine Mühle mit dem Haus des Müllers, dann durchschneidet die uralte Römerstraße nach Finisterre am Atlantik das Gelände und darüber liegen die Fabrikhallen zum Trocknen der gegerbten Felle.
Keines dieser ehemals heruntergekommenen Gebäude wurde weggerissen. Vielmehr sicherte der Architekt die vorhandene Bausubstanz und passte sie behutsam an die neue Nutzung an.
Besonderheit dabei war, wie er mit dem alten Material umging. Musste an einer Stelle eine Mauer weggerissen werden, arbeitete ein Team von Steinmetzen den Granit für eine neue Verwendung vor Ort auf. Hinzugekauft wurde Material nur dann, wenn das alte die neuen Anforderungen nicht erfüllte.
Ausführlich sind die prämierten Arbeiten auf Englisch und Italienisch vorgestellt in dem Buch Glocal Stone (edited by Vincenzo Pavan, Arsenale Editrice, ISBN 978-88-7743-360-2).
See also: Die folgenden prämierten Projekte hatten wir bereits vorgestellt:
Aires Mateus & Associados, Lisbon: Monitoring and Investigation Centre of Furnas, Açores, Portugal
Standardarchitecture, Beijing: River Terminal and Visitor Centre, Tibet, China. Anmerkung: Die kräftige Bemalung auf den Wänden wurde inzwischen mit Weiß überstrichen. Dazu heißt es im Katalog (S. 65): „In this way the typical color of Tibetian spirituality was recalled, as in the Potala Palace, while avoiding strong colors from coming into conflict with panoramic views and distracting visitors.”
Max Dudler, Berlin/Zürich/Frankfurt: Library of the Humboldt University (Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum), Berlin.