Architektur: Stein-Legos als Klimaanlage

Einfach und schnell ist das Mauern mit massiven Steinquadern. Foto: S. DemaillyDownload des ganzen Artikels als pdf.

Dass Italiens Präsident beim G8-Gipfel in L’Aquila im Juli den Gästen als Gastgeschenke Bücher mit Marmordeckeln überreichte, könnte eine ungewollte symbolische Geste gewesen sein. Denn bei dem Treffen einigten sich die Staatschefs erstmals darauf, den Anstieg der Temperaturen auf der Erde zu begrenzen, und da hätte es sich angeboten, Italiens Steinindustrie ins Gespräch zu bringen.

Um nämlich das Temperatur-Ziel zu erreichen, müssen die Emissionen des Treibhausgases CO2 drastisch reduziert werden, und dabei könnte Naturstein eine wichtige Rolle spielen. Viel Kohlendioxid wird nämlich beim Bauen und Wohnen freigesetzt.

Naturstein als Baustoff hat herausragenden Eigenschaften in Sachen Nachhaltigkeit: bei seiner Produktion entstehen praktisch null Emissionen, weil der Stein einfach da ist (anders als etwa Zement, der in großen Öfen hergestellt werden muss); es kann Abfall aus den Brüchen verwendet werden; die Potenziale des Steins für das Speichern von Energie sind beeindruckend, so dass er als natürliche Klimaanlage dienen kann.

Außerdem: Bausteine aus Naturstein können praktisch unbegrenzt wiederverwendet werden.

Damit sind wir schon mitten im Thema: Massivbauen mit Naturstein verlangt einiges an Umdenken, und insofern wird es sich auf kurze Sicht allenfalls in Marktnischen realisieren lassen. Vorerst dürfte Nachfrage vor allem von ökologisch interessierten Bauherren kommen, wie Beispiele aus Frankreich zeigen. Dort ist man weltweit führend im Massivbauen mit Naturstein.

Protagonisten der Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg waren Paul Marcerou, Steinbruchbesitzer und begnadeter Tüftler für Steinsägen, und der Architekt Fernand Pouillon. Sie perfektionierten das Konzept der pierres prétaillées, übersetzt etwa: der vorgeschnittenen Steine. Dabei handelt es sich um mittelgroße Quader, die in ein paar Standardgrößen fix und fertig aus dem Steinbruch kommen und auf der Baustelle nur noch übereinander gesetzt werden.

Einige 1000 Wohnungen wurden nach dem diesem Lego-Prinzip erbaut, etwa die berühmte Siedlung in Aix-en-Provence. Pouillon errichtete die Außenwände der mehrgeschossigen Gebäude aus Quadern von 80 cm Länge x 40 cm Breite x 40 cm Dicke. Im Inneren des Gebäudes gab es tragende Wände aus Stahlbeton.

Heute ist der Architekt Gilles Perraudin einer der Vorreiter im Massivbauen mit Stein. Auch er arbeitet mit vorgefertigten Größen nach dem Lego-Prinzip. Viel Aufmerksamkeit hat sein Weinlager für das Monastère de Solan unweit von Avignon auf sich gezogen. Hier beträgt eine der Standardgrößen für die Quader 210 cm x 105 cm x 52 cm – dies einfach deshalb, weil es das übliche Blockmaß in den nahen Kalksteinbrüchen ist.

Dass sich die Klostergemeinschaft von Solan für Stein entschied, hing mit ihrer konsequent ökologischen Ausrichtung zusammen. So wollten die Ordensleute für ihr Weinlager keine Baustoffe, aus denen im Lauf der Zeit Schadstoffe austreten könnten.

Energiesparen ist eine weitere Leitlinie im Klosterleben. Um im Weinlager eine konstante Temperatur zu erreichen, ließen die Auftraggeber den Architekten die Wände massiv errichten: der Stein nimmt die Kühle der Nacht auf und gibt sie während der Tageshitze wieder ab. Kühlend wirkt auch die Feuchtigkeit der Luft, indem sie nachts in die Poren des Kalksteins eindringt und tagsüber beim Verdunsten den Mauern Wärme entzieht.

Mit nur einem Monat war die Bauzeit sensationell kurz. „Bei der Größe unserer Blöcke haben wir in einem einzigen Arbeitsgang zwei Quadratmeter Mauerfront fertig“, erläutert Perraudin. Die Blöcke sind ohne Bindemittel einfach nur aufeinander gesetzt; gehalten werden sie von ihrem Gewicht. Der Kalkmörtel dient nur dazu, die Fugen winddicht zu machen. Mit Steinstaub aus dem Bruch ist er farblich von der Umgebung nicht zu unterscheiden.

Auch in Bauten in kalten Klimazonen könnte Stein als Energiespeicher eingesetzt werden. Mit solchen Fragen beschäftigt sich Stefano Zerbi, der an der Universität Lausanne eine Doktorarbeit zum Thema macht. Er sagt, dass man im Norden „steinerne Innenkerne“ in die Häuser bringen könne. Das klingt dramatisch, meint aber nur, dass es zum Beispiel einen Steinfußboden und massive Wände gibt, die Wärme aufnehmen können. Die Energie kommt auch im Winter von der Sonne, wenn sie tief steht und ihre Strahlen durch eine gläserne Südfassade tief ins Gebäude eindringen. „Natürlich muss man ein Gebäude im Norden nach außen isolieren“, merkt Zerbi an.

Schattenseiten

Allerdings hat Massivbauen mit Stein auch seine Schattenseiten. Eine eindeutige Schwäche ist die Dicke der Mauern – man verliert Wohnfläche, um Energiekosten zu sparen.

Nur auf den ersten Blick aber ist Stein ein teures Baumaterial. Denn im Massivbauen ließe sich auch Material minderer Qualität verwenden. „Ein Block, der wegen Tonadern nicht in Platten zersägt werden kann, wäre immer noch 100%ig als Baumaterial geeignet“, weiß Zerbi.

Außerdem bräuchte man für die Fassade keinen Putz. Und mehr noch: da Stein praktisch unbegrenzt haltbar ist, könnte man die Blöcke wiederverwenden, wenn das Gebäude abgerissen wird.

Das würde ein radikales Umdenken bedeuten, nämlich dass man das Bauen vom Abriss her plant. In anderen Bereichen ist das schon normal: viele Haushaltsmaschinen werden so zusammengebaut, dass sie sich später wieder in ihre Stoffgruppen trennen lassen.

Das nun wirft einen ganz neuen Aspekt auf die Kosten von Massivbauen mit Stein: das Material würde zu einer langfristigen Investition, die beim Abriss wieder hereinkommen kann.

Allerdings: Dafür müssten die Steinblöcke unbeschädigt bleiben. Wohin also mit den Leitungen für Wasser und Strom?

In den Fünfzigern verlegte Fernand Pouillon sie in die Innenwände aus Beton. Gilles Perraudin heute geht die Dinge anders an: Er verweist auf das Centre Pompidou in Paris, wo die Architekten Treppen und Leitungen sichtbar an die Außenwände verlegt hatten, und fordert die Architekten zu „neuen und innovativen Ideen“ für die notwendigen Installationen auf.

Auch Zerbi wehrt sich dagegen, die Steinblöcke für die Leitungen aufzustemmen. „Ein Stromkabel hat eine Lebensdauer von ein paar Jahrzehnten, Stein aber hält Jahrhunderte und mehr“, sagt er.

Teuer allerdings ist der Transport von Massivstein, so dass man nur regionales Material verbauen sollte. Das aber trifft sich exakt mit den Belangen des Klimaschutzes: weniger Transport, weniger CO2-Emissionen.

Die Erfahrungen zeigen, dass sich alle Steinarten fürs Massivbauen eignen. In Spanien und Portugal gebe es moderne Massivbauten mit Granit, sagt Gilles Perraudin. Stefano Zerbi hat seinen Blick auf den heimischen Tessiner Gneis [gneiss; gneiss; gneis, gneisse] gerichtet.

Mindestens genauso wichtig wie die ökonomischen und technischen Überlegungen aber ist eine andere Frage: Was halten die Architekten und damit auch die Bauherren von den Lego-Steinen?

Zerbi hat für ein Gebäude aus Gneis eine Fassadengestaltung am Computer durchgespielt, die Möglichkeiten der Gestaltung anhand der Oberflächen zeigt. Perraudin gerät bei dem Thema richtig in Feuer. Er meint, dass mit dem Mauern Stein auf Stein „der Architekt zu seiner eigentlichen Arbeit zurückfindet“, statt sich mit modernen Materialien im Schnickschnack zu verlieren.

Marmor-Bücher für die Staatschefs auf dem G8-Gipfel 2009.

Die ausführliche Geschichte des Massivbauens mit Stein in Frankreich ist nachzulesen in der Zeitschrift Pierre Actual (10/2007).

Atelier Architecture Gilles Perraudin (französisch)

Stefano Zerbi (Mail)

(August 2009)