(Dezember 2011) Für die Traditionalisten unter den Steinmetzen und Architekten muss der Satz eine Provokation sein: „Marmor ist ein Material, dessen Möglichkeiten erst noch zu entdecken sind.“ Schließlich waren sie es, die sich über die Jahrtausende immer neue Anwendungen für Naturstein überlegt haben.
Wir haben den Satz sinngemäß im Katalog des Projekts „Luce e Materia“ (Licht und Materie) gefunden. Es wollte die beiden so gegensätzlichen Bestandteile unserer Welt in fruchtbaren Kombinationen zusammenbringen. Realisiert worden war das Experiment von der Firmengruppe Solubema (Portugal)/Merbes-Sprimont (Belgien) und dem italienischen Designer Raffaello Galiotto. Präsentiert wurden die Ergebnisse im Rahmen des Marble Forums in Halle 7B der Marmomacc 2011.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob und wie aus den künstlerischen Ideen marktfähige Produkte werden.
Um 2 Marmorsorten mit konträren Eigenschaften drehte sich das Projekt: zum einen um den Noir Belge (Belgium Black) aus Belgien, schwarz und kompakt wie die Nacht, der heutzutage unterirdisch gewonnen wird; zum anderen um den portugiesischen Vigaria, weiß und mit Adern, der lichtdurchlässig ist und aus Brüchen an der Erdoberfläche stammt.
Der Designer spielte unter verschiedenen Aspekten durch, wie sich diese beiden Steinsorten mit Licht in Verbindung bringen lassen.
Zum Beispiel: der Noir Belge eignet sich in seiner polierten Form als Spiegel – bei kaum einem Stein kann man die Oberfläche so perfekt bearbeiten. Klar aber ist, dass ein schwarzer Spiegel sich nur begrenzt dafür eignet, was ein Spiegel eigentlich soll. Denn er verschluckt mehr Licht, als er zurückwirft. In der Literatur und Kunst war das gelegentlich schon ein Thema.
Galiotto wählte als Einstieg auf dem Marble Forum die Verzerrungen, die konkave und konvexe Spiegel möglich machen. So bezog er sich im ersten Raum der Präsentation auf den berühmten Spiegel aus dem Gemälde „Die Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck (1434): Im Gemälde hängt der Spiegel an der Rückwand – man sieht darin nicht nur das Brautpaar von hinten, sondern kann auch den Maler im Vordergrund erahnen, damals ein sensationelles Spiel mit der Perspektive.
Galiotto stellte einen solchen Spiegel in dem schwarzen Marmor her. In dem er ihn und weitere Exemplare nach innen und nach außen wölbte, wurden vielfältige Verzerrungseffekte erreicht. Das ungewöhnliche Material machte diese Effekte noch verwirrender.
Der 2. Raum stand im Zeichen der Anamorphose. Diese Art der Malerei war in der Renaissance beliebt, da sich damit geheime Botschaften in Bildern verstecken ließen: auf den ersten Blick ist ein Gemälde dann verzerrt; aus einem einzigen Blickwinkel jedoch passt plötzlich alles zusammen und zeigt sich die wirkliche Aussage.
Galiotto hat dieses Spiel der alten Maler mit moderner Waterjet-Technologie in Stein schneiden lassen. So sah man im 2. Raum wirre weiße Formen im dem Boden aus schwarzen Marmor, die jedoch in ihrem Spiegelbild an einer Säule mitten im Raum plötzlich offenbarten, was sie wirklich darstellten: ein Bukett aus weißen Rosen.
Und um das Spiel mit Wahrheit und Wirklichkeit noch auf die Spitze zu treiben, stand oben auf der Säule ein Bukett mit echten weißen Rosen.
Übrigens: wenig Licht bewirkt, dass man manches nicht sehen kann, was in Wirklichkeit da ist. So war die Säule, von der gerade die Rede war, aus 2 Hälften zusammengesetzt – dies deshalb, weil der Noir Belge nicht in großen Stücken gewonnen werden kann. Die Nut zwischen beiden Hälften konnte man jedoch in der abgedunkelten Kammer nicht erkennen.
Nicht weniger ungewöhnlich waren Galiottos Experimente mit dem weißen Vigaria Marmor, durchgespielt in weiteren Räumen. Bei einer Wand aus dem Marmor war die Oberfläche bearbeitet – kam das Licht von vorne, sah man nur diese Struktur, kam es jedoch von hinten, erschien das Bild eines Kindes im Mutterleib auf der Wand. Dann war die Struktur auf der Wand von den Farben und Adern im Inneren des Marmors noch verstärkt worden.
Aus einer anderen Marmorwand waren auf einer Seite viereckige Vertiefungen herausgearbeitet. Hier gab es den Effekt von hell und dunkel, vergleichbar den Lichtern in einer Bürofassade bei Nacht.
Transluzenz war ein weiteres Thema. Dazu zeigte der Designer Lampenschirme aus dem weißen Marmor, der, wie bereits gesagt, durchscheinend ist. Hersteller war hier die italienische Firma Marmi Serafini.
Im Gespräch brachte Galiotto seine Ideenwelt in einem schönen Wortspiel auf den Punkt: „Es gibt neues Leben im Marmor.“
Ein Katalog beschreibt auf Italienisch und Englisch mit vielen Fotos das Konzept, die Ergebnisse und die Beteiligten. Er kann kostenlos bestellt werden über die Website des Projekts.
Zum Schluss noch eine Anregung: Hier hat der Künstler Tom Kristen LED-Leuchten in Plexiglasstäbe eingesetzt.
Solubema, Merbes-Sprimont 1, 2
Fotos: Luce e Materia