(September 2009) Eine berühmte Geschichte, wie neue Produkte manchmal per Zufall gefunden werden, erzählt von Parkbänken aus Drahtgitter (siehe Foto). Entwickelt wurden die ersten Modelle angeblich von einer Firma, die eigentlich Schutzgitter als Abdeckungen herstellte – der Quantensprung von den billigen Schutzgittern hin zu den teuren Stadtmöbeln kam dadurch zustande, dass eines Tages ein Kunde bei der Firma eine Reklamation zurückgeben wollte: er hatte seine Schutzgitter zu einer Sitzfläche biegen wollen und sie dabei kaputt gemacht.
Nach einigem Streit um die Erstattung des Kaufpreises erkannte die Firma das Potenzial, das ihr da vor die Füße gefallen war: Fortan bog sie ihre Gitter aus nun verbessertem Material in die Form von Sitzbänken und wertete sie durch einen modernen Überzug auf.
Kurios die Folgerung daraus: eine Firma sollte die Zweckentfremdungen ihrer Produkte durch die Kunden ernst nehmen – denn darin stecken manchmal Produktideen, die das Unternehmen selber nicht hatte.
Die Erkenntnis 1 daraus ist: Versuchen Sie, von Ihren Kunden zu lernen und so die eigene Betriebsblindheit aufzubrechen.
Dasselbe gilt für jene Situation, dass bei Ihnen eine Anfrage hereinkommt nach einem Produkt, das Sie gar nicht haben. Interessant daran ist nämlich, dass der Kunde offenbar glaubt, dass Sie das Produkt herstellen oder vertreiben könnten, dass Sie also über das entsprechende Knowhow oder die Kontakte verfügen.
Wissenschaftler nennen sprechen hier von einem verborgenen Potenzial. Besonderheit darin ist, dass die Firma es besitzt, ohne dass sie darum weiß. Übrigens zeigt eine „falsche“ Anfrage auch, dass es eine Nachfrage nach solch einem Produkt gibt.
Erkenntnis 2: Hören Sie dem Kunden zu, wenn er Sie nach etwas fragt. Zuhören ist ein wirksamer Weg, verborgene Potenziale im Unternehmen ausfindig zu machen.
Das führt uns zu Erkenntnis 3: Hören Sie Ihren Mitarbeitern zu und fragen Sie sie, welche Ideen sie haben. Denn die Mitarbeiter kennen den Betrieb am besten.
Zurück zu den Kunden. Gelegentlich kommt es vor, dass ein Kunde nach einem Kauf wieder vorbeikommt und Ihr Produkt beziehungsweise Ihre Arbeit lobt. Haken Sie nach: Was ist es, das ihm gefallen hat, die Ausführung der Arbeiten, das Einhalten der Termine, die Freundlichkeit der Mitarbeiter? Niemals sonst bekommen Sie so genaue Auskunft über die Stärken Ihres Unternehmens.
Erkenntnis 4 formuliert als Frage lautet: Warum hat der Kunde bei uns gekauft und nicht anderswo? Sorgen Sie anhand der Antworten fortan dafür, dass Ihr Unternehmen bei den Stärken noch besser wird. Und: Stellen Sie diese Stärken bei Ihrer Selbstdarstellung künftig heraus. Versuchen Sie umgekehrt auch, die Schwächen zu finden, also zum Beispiel ständige Fehler abzustellen.
Nicht immer muss man, wie im Fall der Drahtgitter, ein herkömmliches Produkt umbauen, um ein neues daraus zu machen. Ein verborgenes Potenzial kann sich auch in einem Randaspekt verbergen, der nie im Fokus der Verwertung stand. Ein Beispiel aus der aktuellen Kommunikationstechnik ist die SMS: Sie entstand als technische Spielerei nebenbei, und doch bringt sie heute den Anbietern enorme Einnahmen. Erkenntnis 5: Analysieren Sie Ihre Produkte daraufhin, was sich noch alles damit oder daraus machen ließe.
Oft wird bei solchen Bemühungen einfach ein Material durch ein anderes ersetzt. Ein Beispiel: die altbekannte Badewanne aus Eisen wird aus Stein hergestellt. Derartige Produktinnovationen eröffnen jedoch allenfalls einen Nischenmarkt.
Nur die Massenfertigung gibt Zugang zum Massenmarkt. Um hier weiterzukommen, machen wir zunächst eine theoretische Feststellung: Meist sucht der Kunde nicht unbedingt nach einem bestimmten Produkt, also nach einem konkreten Etwas, sondern allgemein nach einem Mittel zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses oder Wunsches.
Erkenntnis 6: Versuchen Sie zu herauszufinden, mit welchen Wünschen und Bedürfnissen der Kunde zu Ihnen kommt. Erst wenn Sie das wissen, fangen Sie an zu überlegen, was ein geeignetes Produkt für die Erfüllung des Kundenwunsches sein könnte.
Unternehmenskultur
Zum Schluss müssen wir noch ein paar allgemeine Worte zur Kultur in einem Unternehmen mit hohem Innovationsgrad sagen. Neuerungen brauchen nämlich bestimmte Rahmenbedingungen. Sonntagsreden der Geschäftsführung sind nicht hinreichend, sondern eher kontraproduktiv.
Eine der Rahmenbedingungen ist, dass der Chef die Suche nach Innovation als strategisches Ziel und als Aufgabe aller deklariert. Das gelingt nicht durch einen Ukas, sondern dadurch, dass der Sinn und Zweck von Neuheiten den Mitarbeitern nachvollziehbar erklärt wird.
Außerdem muss das ganze Verfahren in festen Schritten ablaufen. Schritt 1 heißt: am Anfang Vielfalt zulassen. Zunächst werden Ideen und Vorschläge nur gesammelt, ohne dass sie auf Machbarkeit oder Kosten hin bewertet werden. Verspieltes muss seinen Platz haben, sogar Spinnertes.
Im Schritt 2 beginnt die Arbeit eines Teams, das aus den Vorschlägen einige auswählt und diese konkretisiert.
Spätestens für den Schritt 3, nämlich die Produktion eines Prototyps und die Markteinführung, braucht es dann ein verlässliches Budget und feste Zuständigkeiten einzelner Mitarbeiter.
Schritt 4 leitet den nächsten Durchgang ein, bei dem wieder Betriebsblindheiten ausgeräumt und verborgene Potenziale gehoben werden.
Alles in allem beschreibt unsere Analyse, was die Wirtschaftswissenschaftler mit dem Begriff des „lebendigen“ Unternehmens meinen: Eine Firma verändert sich kontinuierlich mit den Zeiten und mit den Produkten.