Architektur: Fassade wie Bücherregale

Vorderansicht der Zentralbibliothek der Berliner Humboldt Universität. Foto: Stefan Müller(August 2009) Auf ein Detail müssen wir gleich hinweisen: An jedem Platz im großen Lesesaal gibt es eine Lampe, die mit einem Quarzitglas abgedeckt ist. So bestimmt auch in den dunklen Stunden, wenn kein Tageslicht mehr durch die verglaste Decke fällt, nicht die kalte elektrische Leselampe die Raumatmosphäre, sondern das angenehme Licht nach dem Weg durch die millimeterdünne Natursteinschicht. Übrigens: Die neue Zentralbibliothek der Berliner Humboldt Universität, von der hier die Rede ist, ist wochentags bis 24 Uhr geöffnet, am Wochenende bis 18 Uhr.

Max Dudler ist der Architekt. Dass es bei dem Neubau mit 75 Millionen € Gesamtkosten solche Materialdetails wie die Leselampen geben würde, konnte man erwarten, denn der Schweizer mit Büros in Berlin, Zürich und Frankfurt ist bekannt als ein Planer, der immer wieder eine Lanze für Naturstein am Bau gebrochen hat.

Dass die Fassade eine Kalkstein-Verkleidung bekommen hat, ist der Umgebung geschuldet. Schließlich war der neben Sandstein das klassische Material der historischen Berliner Innenstadt. Anders aber als die Fronten der Gebäude drumherum ist die Außenhaut der neuen Bibliothek ohne jede Zierde und ohne jeden Schnickschnack gestaltet. Geradezu radikal senkrecht und rechtwinklig ist die Linienführung, streng in Stein und Glas ohne jede Auflockerung etwa durch Fensterrahmen.

Um so zu bauen, muss man Mut haben. Den hat Dudler, und seine Gestaltungsidee geht auf, unter anderem deshalb, weil er die Funktion des Gebäudes außen sichtbar macht. So bildet die Folge von Stein- und Glasrechtecken die Anordnung der Bücherregale im Inneren ab: Wo Regale stehen, sind an der Fassade die Fenster schmal, denn Sonnenlicht ist ein Feind des Papiers; wo hingegen die Leseplätze sich befinden, ist die Glasfläche breit. Vorbild war die Diözesanbibliothek in Münster.

Diese Gestaltung erlaubt den Benutzern vielfältige Blicke nach draußen, auf die umgebenden Gebäude oder auf die viel befahrene Trasse der S-Bahn. Auch innerhalb der Bibliothek, die, wenn auch groß von außen, innen eher eng und kleinteilig ist, gibt es Inszenierungen für den Blick des Besuchers, etwa wenn die Bücher hinter Glasscheiben wie Gemälde entrückt dastehen.

Eigentlich aber sind die Wege zu den Büchern kurz, denn das Gros der verfügbaren Werke steht in Freihandregalen.

Ganz ungewöhnlich ist der Lesesaal: die etwa 200 Plätze (von insgesamt 1000 im gesamten Haus) sind auf zwei sich gegenüberliegenden Terrassen angeordnet. Wer also vom Studieren aufschaut, sieht gegenüber andere Gleichgesinnte statt nur deren Rücken. Anzumerken ist hier, dass angeblich schon immer viele Liebschaften zwischen Wissenschaftlern ihren Anfang in einer Bibliothek genommen haben…

Bestimmend in den Innenräumen ist das rote Holz des amerikanischen Kirschbaum Black Jerry. Die Böden sind mit dem Jurakalkstein der Fassaden belegt. Ausführende Firma für die Verlegearbeiten war Richter aus Ludwigsfelde südlich von Berlin. Ein Detail sind die schwarzen Kontraststreifen aus Nero Assoluto vor den Treppen. Sie helfen Sehbehinderten bei der Orientierung. Denselben Kontrast von Schwarz und Weiß gibt es noch einmal auf dem Vorplatz der Bibliothek, der mit schwarzem Basalt belegt ist und auf dem ein Café zum Verweilen einladen wird.

Die Fassadenverkleidung besteht aus 6800 m² des weißen Jurakalksteins. Geliefert und montiert wurde sie von der Firma Hofmann aus Gamburg. Auf den ersten Blick sieht der Kalkstein sehr nach Travertin aus. Das kommt daher, dass der Stein hochdruckwassergestrahlt wurde. „Aquapower“ nennt Hofmann die Oberfläche.

Max Dudler

Hofmann Naturstein

Fliesenleger Richter

Der Niggli Verlag für Architektur und Kunst hat einige Bücher zu den Bauten von Max Dudler herausgebracht. Im November erscheint das Werk zur neuen Zentralbibliothek der Berliner Humboldt Universität.