Märkte: Brasilien als Stein-Importeur

Inneneinrichtung der oberen Mittelklasse. Foto: Michelangelo

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(März 2008) Als „ziemlich ausdrucksvoll“ bezeichnet Brasiliens bundesweiter Steinverband Abirochas die aktuellen Importzahlen für Naturstein. Was genau der Autor mit dem, in diesem Zusammenhang ungewöhnlichen Begriff „ausdrucksvoll“ meinte, wissen wir nicht – vielleicht wollte er weit vorausschauend darauf hinweisen, dass es hier um ein Terrain geht, das die einheimische Branche nicht kampflos aufgeben sollte.

Die Zahlen, die dazu das Abirochas-Mitteilungsblatt Informe (3/2009, pdf, portugiesisch) veröffentlichte, sind in der Tat beeindruckend. Nach Wert stiegen die Steinimporte von 2006 auf 2008 um 32,5 %, nach Tonnage um 21 %. Es wurden Steine im Wert von 51,6 Millionen US-$ beziehungsweise mit einem Gewicht von 91.244 t ins Land gebracht.

Das ist wenig im Vergleich zu den Exporten des Landes, die zuletzt nach Wert bei 955 Millionen $ und nach Tonnage bei knapp 2 Millionen t lagen. Aber dass die Importe seit Jahren kontinuierlich ansteigen, rechtfertigt das vielleicht warnend gemeinte Abirochas-Wort „ausdrucksvoll“ und auch unsere nähere Betrachtung.

Kurz gesagt: Brasilien scheint zu einem Importland zu werden, dies vor allem für Marmor und Travertin aus Europa. Gut zwei Drittel der Einfuhren waren Marmore, nach Wert 39,5 Millionen $, nach Gewicht 66.223 t.

An solchen Karbonatgesteinen hat zwar auch Brasilien eigene Sorten, aber sie wurden, seit der Granit-Goldrausch in den USA ausgebrochen war, eher stiefmütterlich behandelt. Erst seit der Vitória-Messe im letzten Jahr stellen manche Firmen die eigenen Sorten wieder stärker ins Rampenlicht.

Ihren Anfang hatten die Naturstein-Importe in größerem Stil in den 90ern, unmittelbar nachdem Brasilien bestimmte Importbeschränkungen aufgehoben hatte. Deutlich zeigte sich damals schon, dass es im Land eine große Nachfrage nach Marmor und Travertin gab.

Es kamen vor allen Steine aus Italien, Spanien und Griechenland nach Brasilien. Der Grund für die Bevorzugung dieser Herkunftsländer ist unverändert geblieben (siehe Interview unten).

Beim Blick auf den Inlandskonsum stößt der auswärtige Betrachter schnell auf eine Besonderheit Brasiliens: die Vertreter der Mittel- und Oberschicht dort sind regelrecht konsumverrückt. Das und auch das Kaufen auf Pump ist in Brasilien genauso üblich wie in den USA – die Amerikas von Nord bis Süd haben, angefangen vom Städtebau bis eben zum Konsum, starke Gemeinsamkeiten in der Alltagskultur.

Um das Potenzial des brasilianischen Inlandsmarktes ein wenig zu verdeutlichen, wollen wir nur auf eine Gewohnheit hinweisen: der „carro zero“, das neue Auto mit null Kilometern, ist für manchem so wichtig, dass er sich alle paar Jahre einen neuen Wagen zulegt.

Praktiziert wird dieser ungehemmte Konsum in den Großstädten, namentlich in São Paulo, einer Mega-Industriestadt mit schätzungsweise 10 Millionen Bürgern, oder in Rio, dem künstlerischen Zentrum des Landes, und in Brasília, einer trockenen Verwaltungs- und Diplomatenstadt. Weit entfernt davon ist der Lebensstil auf dem Land, und auch in den Favelas.

Was den Wohnungsbau als Hauptmarkt für Naturstein betrifft, baut man in Brasilien wie in den USA – groß. Eine Wohnung hat im Regelfall nicht nur ein Bad, sondern am besten so viele, wie es Familienmitglieder gibt. Naturstein ist obligatorischer Bestandteil der Inneneinrichtung, dies nicht nur im Wohnbereich, sondern auch in der Küche und insgesamt auf den Böden. Das ist auch dem Klima geschuldet, schließlich bleibt Stein in der größten Hitze angenehm kühl.

Auch in Außenräumen, wie hier in Brasília, ist „ruhiger“ Naturstein beliebt.

Näheren Einblick in Brasiliens aktuellen Verbrauch an Naturstein gibt wieder das Mitteilungsblatt Informe (3/2009). Danach wurden 2008 schätzungsweise 65 Millionen m² an Steinplatten (gerechnet mit 2 cm Dicke) konsumiert. Für unsere Betrachtung sind hier jene 14 Millionen m² an Marmor besonders interessant, von denen immerhin gut 10 % (1,9 Millionen m²) aus Einfuhren stammten.

Hinter diese Zahlen steckt ein kräftiger Anstieg des Inlandskonsums während der letzten Jahre. Unter anderem niedrige Kreditzinsen für langfristige Investitionen und steigende Löhne führten zu einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt: es stieg von 2006 auf 2007 um 5,4 % auf 2600 Milliarden R$ (etwa 1092 Milliarden $), so das brasilianische Statistikinstitut IGBE. Der Konsum ging in jenem Jahr um 6,5 % in die Höhe.

Bemerkenswert ist dabei weniger die Höhe dieser Zahlen, schließlich ist Brasilien groß wie ein Kontinent und hat um die 190 Millionen Einwohner. Bemerkenswert ist vielmehr die Tatsache, dass das Wachstum seit 2004 ohne Unterbrechung verlaufen war. Zuvor hatte es immer nur kurze Strohfeuer an wirtschaftlicher Blüte gegeben, für die sich unter Fachleuten der Begriff „Hühnerflattern“ („Vôo de Galinha“) eingebürgert hatte. Der kontinuierliche Anstieg seit 2004 hatte dann 2006 noch einmal eine zusätzliche Beschleunigung erfahren.

Auch wenn im Moment auf Grund der drohenden weltweiten Rezession keine Zukunftsprognose mehr gilt, wollen wir dennoch einen Blick in eine solche Studie werfen. Denn man kann davon ausgehen, dass das Wachstum mit dem Ende der Krise wieder einsetzen wird.

So hatte die Bank für Nationale Entwicklung (BNDES) Mitte 2007 die „Investititonsperspektiven für den Zeitraum 2008 bis 2011 vorgelegt (pdf, portugiesisch). Darin waren für jene 4 Jahre Investitionen von mehr als 1200 Milliarden R$ vorhergesagt (etwa 504 Milliarden $) worden.

Interessant für unsere Betrachtung zur Nachfrage nach Naturstein ist dabei, dass der private Wohnungsbau mit 44 % dieser Investitionen veranschlagt worden war: hier sollten 535 Milliarden R$ (etwa 225 Milliarden $) ausgegeben werden – eine gewaltige Summe auch das.

Selbst wenn die Importe an Naturstein daran nur einen geringen Anteil hätten und wenn, wie schon zu beobachten, die Engineered Stones noch stärker als bisher den Inlandsmarkt bearbeiten würden, dürfte es lohnen, Brasilien als Abnehmerland in den Blick zu nehmen.

Übrigens: auch in Sachen Maschinenimporte für die Natursteinindustrie wird das Land in den kommenden Jahren wohl zulegen. Das jedenfalls sagt die italienische Zeitschrift Giornale del Marmo in ihrer Ausgabe Nr. 276 (November/Dezember 2008) voraus. „Brasilien in Warteposition“ überschrieb sie ihren Text.

„Ein Gefühl von Noblesse“. Warum Brasiliens Verbraucher Marmor aus dem Ausland schätzen

Priscila Fleischfresser A. Costa.Die Firma Michelangelo Mármores e Granitos aus dem Bundesstaat Paraná im Süden Brasiliens ist einer der größten Natursteinproduzenten Brasiliens. Neuerdings hat sie auch importierten Marmor und Travertin im Programm, neben den einheimischen Sorten sowie ihren Graniten. 1989 von zwei Brüdern mit deutschen Wurzeln gegründet, war die Firma der Konkurrenz immer ein paar Schritte voraus: Ursprünglich beschäftigte sie sich mit einheimischem Marmor, darunter der berühmten Sorte Paraná, der ihr Markenzeichen wurde. In den 90ern erkannten die Brüder den US-Markt für Granite und stiegen dort ein. Später wandten sie sich wieder stärker dem einheimischen Markt zu und bieten seitdem dort unter anderen kalibrierte Fliesen von 1 cm Dicke an. BusinessStone.com (ssS) sprach mit Priscila Fleischfresser A. Costa, Direktorin von Michelangelo.

ssS: Welche Steine importieren Sie nach Brasilien?

Priscila: Michelangelo hat eine ganze Reihe von importierten Marmoren aus Europa im Programm, darunter Crema Marfil, Marrom Emperador Light, Estatuário, Carrara und Calacatta. Daneben vertreiben wir exklusiv den Royal Beige und den Botticino Nuovo. Aus Griechenland kommt der Branco Pighes.

ssS: Können Sie Zahlen nennen?

Priscila: Im Jahr 2008 haben wir etwa 50.000 m² nach Brasilien eingeführt, darunter Platten und Fliesen aus Marmor.

ssS: Wo werden die Steine verwendet?

Priscila: Im Wesentlichen gehen sie ins private Baugeschehen und in Architekturprojekte. Viele Brasilianer, die Wohnraum neu bauen oder erneuern, verwenden diese Marmore für die Gestaltung sowohl der Innen- als auch der Außenräume.

ssS: Warum kaufen die Brasilianer Steine aus dem Ausland?

 

Priscila: Brasilien ist zwar berühmt für seine einheimischen Sorten, die sich ja auch im Ausland gut verkaufen. Die Verbraucher hier aber nehmen für die Gestaltung ihrer Wohnungen lieber eher gleichmäßige Farbtöne. Am meisten nachgefragt wird Beige, Weiß oder Grau. Die meisten Brasilianer bevorzugen weniger heftige Strukturen im Stein und leichtere Farben, anders als sie unsere exotischen Granite haben, die im Ausland so beliebt sind. Und abgesehen vom Erscheinungsbild verspricht der importierte Stein dem Besitzer auch ein Gefühl von Noblesse, eine Aufwertung seines Status’.

ssS: Was meinen Sie damit?

Priscila: Positiv im Bezug auf den Status wirkt sich aus, dass Europas Marmore von so viel Geschichte umgeben sind. So wurden aus ihnen zum Beispiel die Skulpturen des alten Griechenlands angefertigt, oder hat Michelangelo daraus seine berühmten Kunstwerke geschaffen. Diese Steine werden nicht als Baumaterial angesehen und gekauft, sondern damit sie die Atmosphäre schaffen, die sich der Bauherr wünscht. Der Marmor trägt so zum Lebensstil und -gefühl der Person bei.

Adressen:

* Casa Cor (portugiesisch) nennt sich eine Schau für Innenarchitektur und Design, wo Kreative ihre Projekte und Hersteller ihre Produkte präsentieren. Sie findet zu verschiedenen Zeiten in den einzelnen Bundesländern statt. Die Publikumsresonanz ist enorm.

* Die Messe Revestir widmet sich der Gestaltung mit allen möglichen Materialien. Sie findet jährlich in São Paulo statt und ist zu einer Attraktion auch für Endverbraucher geworden.

* Die Cachoeiro Stone Fair, die kleine Schwester der Vitória Stone Fair, ist die Schau der Branche für den Inlandsmarkt. Sie findet jährlich in Cachoeiro de Itapemirim im Hinterland des Bundesstaates Espírito Santo statt.

* Zeitschriften für Design und Innenarchitektur gibt es zahlreiche, einen Überblick bietet eine Site (auf portugiesisch).

* Die größte Fachzeitschrift für die Steinbranche ist die Rochas de Qualidade. Daneben gibt es die jüngere und dünnere Inforochas, die als Schwerpunkt die Steinindustrie im Bundesstaat Espírito Santo hat.