Bei diesen Neubauten sind es die Details, an denen man die Vergangenheit ablesen kann. So sind bei der Fassade des Paulinums in Leipzig die Rosette oben und das große Kirchenfenster darunter leicht gegeneinander verschoben.
Mit dem Teleobjektiv herangeholt sieht man auch eine auffällige Linie, die das Oval des Fensters seitlich fortführt.
Die Architekten des niederländischen Büros Erick van Egeraat machen mit vielen Details die Geschichte sichtbar: die ehemalige Universitätskirche St. Pauli an dieser Stelle hatte zwar den 2. Weltkrieg unbeschädigt überstanden, wurde aber von den DDR-Kommunisten 1968 gesprengt. Im Inneren des Neubaus, der nun neben einem Andachtsraum die Aula und Fakultätsräume beherbergt, verdeutlicht van Egeraat diesen Zivilisationsbruch noch einmal.
Courage hat der Architekt mit diesen Neubauten für die Leipziger Universität mitten in der City gezeigt. Zum einen stellt er sich gegen die Mode, dass derzeit allerorten in Deutschland historische Bauwerke originalgetreu wiederhergestellt werden.
Zum anderen gibt er der altehrwürdigen Alma Mater ein modernes Gesicht: sie ist immerhin die zweitälteste in Deutschland nach Heidelberg und kommt mit 1409 als Gründungsjahr recht nahe an Bologna (1088), Oxford (um 1170), Modena (1175) oder die Sorbonne in Paris (um 1200) heran.
Senkrechte Linien bestimmen auf der Seite zum Augustusplatz die Uni-Gebäude. Glas überwiegt beim Augusteum. Das Glas sieht jedoch wie Stein aus, wo auf seine Außenhaut ein Siebdruck aufgebracht ist. Der spielt mit den Strukturen, die die Natur dem Stein mitgegeben hat.
Es handelt sich um den italienischen Serpentinit Verde Vittoria in verschiedenen Farbtönen, die durch unterschiedliche Oberflächenbearbeitungen (sandgestrahlt beziehungsweise geschliffen) erreicht wurden. Bei diesem Stein gilt die Faustregel: je glatter die Oberfläche ist, desto dunkler wird sie.
Eine Besonderheit sind die Steinbänder, die die senkrechten Linien von der Fassade über das gläserne Dach verlängern. Sie über eine Länge von 2,70 m zu ziehen, war eine technische Herausforderung.
Das auffällige Türmchen steht wieder im Bezug zur Geschichte: Ehemals saß es mittig auf dem Dach der Uni-Kirche auf; nun ist es seitlich verschoben und dadurch zu einem veritablen Kirchturm geworden. Die Verkleidung ist Titanzinkblech.
An der Vorderseite des Paulinums, dem Zwitter aus Kirche und Universitätsgebäude, bestimmen zwar weiter die senkrechten Linien das Bild. Jedoch ist das dominante Material hier nicht mehr Glas, sondern Naturstein. Es handelt sich um Kirchhainer Muschelkalk, wieder mit verschiedenen Oberflächen.
Beim Kirchenfenster und der Rosette darüber wurde weißer Kalkstein verwendet.
Auf der Rückseite erlebt man dann eine Überraschung: hier verlaufen die dominanten Linien am Paulinum plötzlich waagerecht statt senkrecht.
In heftigem Kontrast dazu steht das Audimax mit supermoderner Außenform und daneben das historische Schinkeltor aus Sandstein, einer der wenigen Überbleibsel der Uni-Gebäude von einst.
Die Gesamtkosten betrugen 136 Millionen €.
Unübersehbar am Rand des Ensembles steht das City-Hochhaus, gut 150 m hoch und zu DDR-Zeiten für die Universität erbaut. Verkleidet ist es seit der Sanierung nach der Wende mit chinesischem Padang-Granit.
Erick van Egeraat associated architects
Fotos: J Collingridge
Die Universität bietet Führungen über den Campus am Augustusplatz.
Natursteine in der Leipziger Innenstadt
(30.10.2014)