Einzeller (Mikroalgen) im Wasser können Minerale orten, um daraus ihre Zellwände zu bauen
Kieselalgen, wissenschaftlich Diatomeen, sind in vielen Gewässern heimisch. Als Hauptbestandteil des Phytoplanktons im Meer bilden sie die Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl von Meeresbewohnern. Zudem produzieren sie rund ein Fünftel des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre und sind damit ein zentraler Faktor für das Weltklima. Die einzelligen, nur wenige Mikrometer winzigen Kieselalgen mit manchmal fantastischen Formen, besitzen aber auch noch eine weitere erstaunliche Fähigkeit: sie können Stein „riechen“.
„Genauer gesagt, sind die Algen in der Lage, gelöstes Silikat-Mineral zu orten“, erläutert Prof. Dr. Georg Pohnert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Wie der Inhaber des Lehrstuhls für Instrumentelle Analytik/Bioorganische Analytik und sein Forscherteam in einer aktuellen Studie nachweisen konnten, spüren die Kieselalgen nicht nur Silikate auf im Wasser, das zum Beispiel vorbeifließt. Sie bewegen sich auch aktiv an die Stellen, an denen der Silikatgehalt besonders hoch ist. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachblattes „Nature Communications“ veröffentlicht (DOI: 10.1038/ncomms10540).
Silikat benötigen die Algen zum Aufbau ihrer stabilen Zellwände. „Das Baumaterial dafür müssen sich die Algen in ihrer Umgebung suchen“, sagt Pohnert, der zudem Fellow am Jenaer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie ist.
Für ihre Studie haben die Jenaer Forscher gemeinsam mit internationalen Kollegen der Universität Gent (Belgien) Kieselalgen der Art „Seminavis robusta“ unter dem Mikroskop beobachtet und gefilmt. Das dabei entstandene Video zeigt, was passiert, wenn man den Algen ein Körnchen Silikat-Mineral vorsetzt: Die winzigen Einzeller, die in einem Biofilm auf einer festen Unterlage wachsen, bewegen sich im Zickzack-Kurs auf die Silikatquelle in der Bildmitte zu und „fressen“ sie förmlich auf. Rund zwei Mikrometer pro Sekunde legen die Algen dabei zurück, wie das Video im Zeitraffer zeigt. „Es wird deutlich, dass die Kieselalgen-dominierten Biofilme eigentlich ständig in Bewegung sind“, macht Pohnert deutlich.
Wie den Algen eine so zielgerichtete Bewegung gelingt, ist den Forschern zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig unklar.
Nachweisen konnten die Wissenschaftler allerdings, dass sich die Kieselalgen ausschließlich vom „Duft“ von Silikaten angezogen fühlen. Ersetzten die Forscher das Mineral gegen strukturell sehr ähnliche Germanium-haltige Salze, die für die Algen giftig sind, bewegen sie sich von der Mineralquelle weg.
Auch wenn es sich bei ihren Untersuchungen derzeit um reine Grundlagenforschung handelt, sehen die Jenaer Chemiker durchaus Möglichkeiten, ihre Erkenntnisse langfristig auch praktisch zu nutzen. „Wenn wir die Prozesse verstehen, die die Algen dazu bringen sich an einer Stelle anzusiedeln oder bestimmte Orte zu meiden, könnte man bestimmte Oberflächen und Materialien gezielt so gestalten, dass sie algenfrei bleiben“, macht Pohnert deutlich. Das ließe sich etwa an Schiffsrümpfen oder Wasserleitungen nutzen, an denen es durch Algenbewuchs häufig zu Schäden kommt.
Bondoc KG et al. Selective silica-directed motility in diatoms, Nature Communications 2016 (DOI: 10.1038/ncomms10540)
Quelle: Pressemitteilung
(17.02.2016)