Teils sind die Zonen nur wenige 100 m breit / Meisterleistung der Geologen, Ingenieure und Bauleute
Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 01. Juni 2016 mag für manchen trotz der Arbeiten über 20 Jahre mit kontinuierlicher Berichterstattung unerwartet gekommen sein. Denn solche spektakulären Vorhaben scheinen irgendwie aus einer vergangenen Epoche zu stammen, nämlich dem Zeitalter der Unbegrenzten Machbarkeit, das mit den Mondflügen seine Höhepunkte hatte und danach mit der Ölkrise und der Umweltverschmutzung seinen Niedergang erlebte.
Dennoch: der Gotthard-Tunnel ist eine großartige und zeitgemäße Leistung der Geologen, Ingenieure und Bauleute. Er wird nicht nur der Beschleunigung und Bequemlichkeit des Verkehrs von Nord- nach Südeuropa dienen, sondern auch dafür sorgen, dass die Personen- und Materialströme weniger Ressourcen verbrauchen.
Denn die Schienen über 57 km verlaufen nahezu ebenerdig.
Über ihnen erhebt sich das Gebirge bis auf rund 2000 m Passhöhe.
Die vierteljährliche Zeitschrift Kultur & Technik des Deutschen Museums hatte in ihrer Ausgabe 4/2006 das Projekt geologisch dargestellt.
Danach müssen sich Arbeiter und Ingenieure durch 6 geologische Formationen hindurchgraben, wobei diese mitunter nur wenige hundert Meter breit sind.
Die erste Formation hinter Zürich ist das Aar-Massiv mit 18,8 km Länge, „darin eingebettet die Intschi-Zone. Hier bilden Gneise und jüngere Granite ein standfestes bis leicht brüchiges Gebirge“, schreibt das Museumsblatt.
Dann folgt auf 150 Metern Länge die Clavaniev-Zone: „Diese Zone … ist tektonisch stark beansprucht und besteht aus verlehmten Kakiriten (ein Gemisch aus verschiedenen, pulvrig zermahlenen Gesteinen, das eine teigige Konsistenz aufweist) und verschieferten Gneisen.“
Die nächste Zone ist das Tavetscher Zwischenmassiv (auf 2,7 km Länge zwischen dem Aar- und dem Gotthardmassiv). „Ursprünglich ebenfalls aus kristallinen Gesteinen bestehend, wurde es stark tektonisch beansprucht. Es setzt sich heute aus zermahlenen Schiefern und Phylliten zusammen.“
Bis zum Gotthard folgt auf 500 m die Urseren-Garvera-Zone. Sie „entstand aus einer ursprünglich sedimentären Bedeckung des Gotthardmassivs. Diese ehemals horizontalen Schichten wurden beim Einfalten des Tavetscher Zwischenmassivs steil gestellt.“
Das Gotthardmassiv selbst (13,3 Kilometer) „besteht vorwiegend aus Gneisen und Schiefern, ähnlich wie das Aar-Massiv. Es wurde jedoch im Zuge der verschiedenen Gebirgsbildungen wesentlich stärker beansprucht.“
Auf der italienischen Seite schließt sich auf 150 m hinter Biasca die Piora-Mulde an. Sie „entstand aus sedimentären Ablagerungen auf dem Kristallin des Gotthardmassivs. Die teils zuckerförmige Ausbildung des darin enthaltenen Dolomits ist eine Folge der metamorphen Überprägung während der Alpenfaltung.“
Als gut prognostizierbar gilt die Penninische Gneiszone. Bei ihr „handelt es sich um ein aus Gneisen aufgebautes, mehrfach metamorphiertes kristallines Grundgebirge, das im Zuge der Entstehung der Alpen deformiert, als Ganzes auf das Gotthardmassiv aufgeschoben und mit diesem nach Norden verschoben wurde. Dieses lässt sich in den Luccomagno-Gneis im Süden und den Leventina-Gneis im Norden aufteilen.“
Genug der Wissenschaften. Wir wollen noch einige der technischen Herausforderungen nennen: Je höher der Berg über dem Tunnel, umso höher die Temperaturen im Fels. „Bis zu 45 Grad können erreicht werden, weshalb Klimaanlagen die Arbeitsplätze unter Tage auf 28 Grad herunterkühlen müssen“, schreibt Kultur & Technik.
Damit man die Gesamtstrecke gleichzeitig von mehreren Punkten angehen kann, haben die Planer sie in fünf Zwischenetappen eingeteilt, an denen die Arbeiter über Schächte und Stollen von oben herab zu ihrer Röhre in der Tiefe gelangen.
Dort fräsen sich von riesigen Kavernen aus die so genannten Hartgesteinsgrippermaschinen voran. Sie haben Bohrdurchmesser von 8,8 bis 9,53 m und besorgen automatisch die Arbeitsgänge vom Bohren vorne bis zum Einsetzen der vorgefertigten Wände beziehungsweise dem Auftragen des Spritzbetons oder Einsetzen einer stählernen Rüstung hinten.
Nicht nur die harten Gesteine stellen die Techniker vor höchste Anforderungen.
Auch sind logistische Meisterleistungen zu vollbringen: Pro Meter Vortrieb fallen 220 Tonnen Abraum an, von denen rund ein Fünftel als Kies gleich wieder dem Beton beigemischt wird. Der Rest wird für Aufschüttungen in der Umgebung eingesetzt. Insgesamt gibt es rund 25 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial. Das entspricht dem Fünffachen der Cheopspyramide.
Weiter geht es im Millionen-Takt (Zahlen aus dem Jahr 2006): Für die Sicherung des Tunnels werden zirka 2,5 Millionen Kubikmeter Beton benötigt. Um ihn herzustellen braucht man fünf Millionen Tonnen Zuschlagstoffe und 90.000 Tonnen Zement. Zur Felssicherung werden 950.000 Felsanker und 125.000 Tonnen Stahlbeton verbaut. Die Tunnelabdichtung besteht aus 2.850.000 Quadratmetern Abdichtung. Die Gleisanlage besteht aus 255 km Fahrschienen mit 250.000 Schwellen.
Berühmt für die hier eingesetzten gigantischen Vortriebsmaschinen ist die Firma Herrenknecht aus Schwanau in Baden. Die Bohrköpfe werden der Härte des Gesteins und der Wasserführung in den Zonen angepasst. Ziel ist, dass der Bohrkopf Stücke von definierter Größe aus dem Fels schneidet, die dann problemlos auf Laufbändern abtransportiert werden und weiterverarbeitet werden können.
Da die geologischen Gegebenheiten sich in den sechs Zonen sehr stark unterscheiden, müssen die Köpfe austauschbar sein, dies vor Ort.
Nach Geologie und Technik noch ein Wort zur Kultur: Eine Vorlesungsreihe an der Uni Luzern hatte die mit dem Gotthard verbundenen Ideen und Träume beleuchtet. Dabei ging es um Goethes transalpine Rätsel genauso wie um Alpenüberquerungen oder um Gotthardmythen von rechts.
Schließlich: am 4. und 5. Juni 2016 gibt es zahlreiche Attraktionen auf den Festplätzen Rynächt, Erstfeld, Pollegio und Biasca oder an einem der Bahnhöfe.
Ringvorlesung Universität Luzern
Zeitschrift Kultur & Technik des Deutschen Museums (1, 2)
(02.06.2016)