Giuseppe Fallacara vom Politecnico in Bari nutzt gespannte Stahlstangen, um die schwebende Struktur eines Hypars zu realisieren
Mitte des letzten Jahrhunderts erlebte der Stahlbeton eine Blüte, als Architekten damit schwungvolle und weit gespannte Dächer bauten. Dem Geschmack der Zeit entsprechend schienen die Konstruktionen beinahe schwerelos zu sein. Solche Formen lassen sich heutzutage auch mit dem uralten Baumaterial Naturstein realisieren. Giuseppe Fallacara vom Politecnico in Bari, hat kürzlich ein solches Objekt fertiggestellt: es ist mit „Hypargate Vela“ (Hypargate Segel) betitelt und steht im französischen Ort Sainte-Savine auf dem Gebäude der Firma SNBR.
Steigen wir in ein wenig in die Fachbegriffe ein. Fallacaras Konstruktion ist ein „Hypar“, in der Sprache der Geometrie: ein hyperbolisches Paraboloid. Detailliert ist das auf dem Portal Researchgate beschrieben (Link siehe unten)
Einen Hypar bekommt man, wenn man das Liniennetz der Grafik an den Punkten A und B anhebt und es gleichzeitig an den Punkten C und D in die Tiefe zieht. Es entsteht eine Art von steilem Sattel.
Mit Stahlbeton wurden solche Formen um die 1960er zum Beispiel als Dächer für schicke Kaffeehäuser gebaut.
Giuseppe Fallacara errichtet den Hypar nun aus Naturstein: es handelt sich um 100 einzelne Bausteine von je 120 kg. Sie sind im Muster 10×10 angeordnet.
Die Konstruktion überspannt 22 m² Fläche und kommt ganz ohne Stützen aus. Nur an 2 Punkten leitet sie ihr Gewicht von insgesamt 12 t in den Untergrund ab.
Jeder der Bausteine hat in der Mitte ein großes Loch, so dass die Unterseite hell bleibt.
Jedoch erkennt man schon auf den ersten Blick, dass die hoch reichenden Auskragungen sich nicht selber an Ort und Stelle halten können. Deshalb sind durch die Konstruktion Stahlstangen gezogen, die unter Spannung gesetzt sind.
Sie laufen durch die Fugen zwischen den Bausteinen von einer Seite zur anderen. Damit sie sich an den Kreuzungspunkten nicht in die Quere kommen, liegen die Kanäle in der einen Richtung leicht über denen aus der anderen Richtung.
Die Kanäle werden mit Mörtel ausgegossen. Das garantiert die Kraftübertragung auf die Bausteine, nachdem die Stahlstangen eingesetzt und gespannt sind. Der Stahl ist gegen Rost geschützt.
Vielfältige Berechnungen gehören zu solch einer Konstruktion. Zum Beispiel hat jeder Baustein seine eigene Oberflächenneigung, die millimetergenau per CNC-Maschine geschnitten werden muss.
Auch die Kraft, mit der die Stahlstangen maschinell gespannt werden, muss exakt vorberechnet werden. Insgesamt liegen 4 t Spannung an.
Für Stangen statt der üblichen Stahlseile entschieden sich die Konstrukteure, weil man Seile sich nicht so exakt platzieren und gespannt halten könnte. Außerdem können Stangen nach längerer Zeit besser nachgespannt werden.
Zu bedenken ist bei solchen Konstruktionen auch die Härte des Steins. Ist er zu weich, kann die angelegte Spannung die Bausteine aufplatzen lassen. Verwendet wurde der Kalkstein Semond, den die Firma Lippiello Frères mit Sitz im Burgund lieferte.
Das Bild zeigt neben dem „Segel“ zwei weitere spektakuläre Steinbauten von Fallacara: das dreieckige Dach der Halle im Hintergrund ruht auf Bögen aus Bausteinen mit einem Stahlkabel im Inneren; rechts vorne eine selbsttragende Treppe.
Gesägt wurden die Bausteine für „Vela“ mit einer CNC-Maschine von T&D Robotics, Carrara. (Evma)
Atelier Fallacara d’Architettura
Fotos: Atelier Fallacara
Concept and design: Prof. Dr. Giuseppe Fallacara
3D drafting and optimization: Giuseppe Fallacara, Nicola Martielli, Maurizio Barberio, Bertrand Laucournet
Structural analysis (prestressed reinforced stone):
Prof. Ing. Nicola Rizzi, Valerio Varano, Daniele Malomo
Fabrication and construction: S.N.B.R. Société Nouvelle le Batiment Régional
(14.11.2016)