Die Kalkstein-Fassade der Kathedrale zeigt den Weg aus dem irdischen Dasein ins goldene Paradies
Als „Naturstein-Bauwerk des Jahrs 2016“ hat die französische Fachzeitschrift Pierre Actual das neue Centre Spirituel et Culturel Orthodoxe Russe (CSCOR, Zentrum für Geist und Kultur des Orthodoxen Russlands) in Paris bezeichnet, und das zu Recht. Denn die vier Gebäude mit einer Kathedrale im Zentrum sind außergewöhnlich sowohl von der Menge an Kalkstein, der dort verbaut wurde, als auch von der Art und Weise, wie die Architekten vom Büro Wilmotte et Associés den Naturstein einsetzten.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Architektur.
Unverkennbar ist die neue Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit der Maria-Entschlafens-Kathedrale im Kreml nachempfunden. Jene stammt aus dem Jahr 1475 und ist die älteste und größte Kirche dort.
Ungewöhnlich und nicht ohne Weiteres zu verstehen am Ensemble in Paris ist die Gestaltung der Fassaden: auf dem Foto ganz oben sieht man an den beiden seitlichen Gebäuden strenge horizontale Linien aus Natursteinelementen.
Diese horizontalen Linien sind wie zerrissen durch die Bänder der Fenster dahinter.
An der Fassade der Kathedrale im Zentrum jedoch hat sich das in einen ruhigen Rhythmus gewandelt: zwar sind die Materialien weiterhin Stein und Glas, jedoch sind die Steinreihen nicht mehr von Fenstern unterbrochen. Glas kommt nur noch an den Ecken vor, dort mit goldenem Farbton und eingelegt in den Stein.
Das Gold lenkt den Blick auf die fünf Kuppeln ganz oben.
Deren Oberfläche ist weltweit einmalig, nämlich ganz ohne Fugen ausgeführt. Dafür kam Material aus der Raumfahrt zum Einsatz, das mit einer Mischung aus Gold und Palladium belegt ist.
Wenn man nun noch hinzunimmt, dass die Kuppeln der Kirchen im orthodoxen Christentum das Paradies symbolisieren – aufgesetzt sind sie auf fünf Türme, die Jesus Christus und die 4 Apostel verkörpern – versteht man die Architektur: das Ensemble zeigt symbolisch die Unvollkommenheit und die Mühen des irdischen Daseins, dem die Kirche Sicherheit und Verlässlichkeit gegenüberstellt. In einem Wort: Der Glaube zeigt den Weg ins Paradies.
Diese Botschaft ist, wie in der Orthodoxie üblich, mit viel Dekor umgesetzt.
Die Pracht passt aber ohne Zweifel in die Umgebung. Denn in der unmittelbaren Nähe der CSCOR-Adresse (2 avenue Rapp, 1-5 quai Branly, 192 rue de l’Université) im 7. Arrondissement liegen Gebäude wie der Palais de L’Alma, die Esplanade des Invalides oder am anderen Seineufer das Musée d’Art Moderne.
Nicht zuletzt ist der Eiffelturm nur wenig entfernt.
Ausdrückliches Ziel der Architekten war, das Ensemble in die Umgebung einzupassen. Deshalb wurde für die Fassaden der am Seineufer vielfach verwendete Kalkstein Pierre de Massangis aus dem Burgund gewählt.
Zum Einsatz kamen 1600 m³ (4000 t) davon. Der Architekt lobt den Stein wegen seiner „Farbe und Helligkeit“.
Den Stein lieferte die Firma Rocamat, die auch die Fassadenelemente bearbeitete. Der Auftrag stellte in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Um nur einige Aspekte zu nennen:
* 12.000 Natursteinelemente waren allein für die Fassaden herzustellen;
* die Elemente haben sehr aufwändige Formen, so dass manche in 7 Schritten gefertigt werden mussten;
* extreme Genauigkeit war gefordert: „Die Toleranzen lagen im Millimeterbereich“, schreibt Rocamat;
* die 8 Monate Produktion der Elemente mussten mit den 4 Monaten Anbringung koordiniert werden, dies im Zentrum der Pariser Innenstadt, wo es praktisch keine Lagerflächen gibt;
* um die Baustellenlogistik zu bewältigen, versah Rocamat jedes fertige Element mit einem Barcode;
* an der Apsis gibt es gerundete Platten;
* im Kircheninneren kommt ebenfalls viel Stein zum Einsatz, unter anderem bei einer Rosette im Fußboden aus Pierre de Massangis und Sierra Elvira.
Die Anbringung der Steinverkleidung an den Fassaden übernahmen die Firmen Permasteelisa, FGPM und LCM. Insgesamt waren bei dem Projekt 135 Firmen zu koordinieren.
Das Ensemble versteht sich jedoch nicht nur als Kirche für die orthodoxen Gläubigen. Vielmehr will es explizit die russische Kultur und Sprache den Pariser Bürgern nahebringen. Dazu gibt es ein Kulturzentrum mit großem Saal, Ausstellungsräume, ein Cafe, einen Buchladen und eine französisch-russische Grundschule.
Die Architektur will zum Besuchen einladen: So gibt es Durchgangswege über das Gelände (belegt mit dem geflammten Naturstein Pierre de Rocherons‐Comblanchien), die gleichermaßen für Prozessionen zu den kirchlichen Festen als auch für Passanten dienen. Ein offener Park zieht sich über das Ensemble.
Natürlich gab es angesichts der aktuellen Weltlage reichlich Aufregung um das Projekt. Mancher befürchtete einen „Kreml an der Seine“, gar mit Spionagemikrofonen unter den Kuppeln, und als es vor der Eröffnung einen Streit im UN-Weltsicherheitsrat über Russlands Haltung im Syrienkrieg gab, konnte statt Präsident Putin nur der russische Kulturminister an der Zeremonie teilnehmen.
Die Kosten des Ensembles werden auf 170 Millionen € geschätzt, die von russischer Seite kamen.
Bericht in Pierre Actual, Download für 5 €
Fotos: Rocamat
(14.04.2017)