Steinmetz Timothy C. Vincent hatte die Idee zu einem „Geschichtsbuch des Kleinen Mannes“ aus regionalem Stein
Von einem „Geschichtsbuch des Kleinen Mannes“ spricht Timothy C. Vincent, und in der Tat sind seine Andenkenstelen genau das: wenn auf den Friedhöfen der Stadt Hagen die Ruhezeit für einen Verstorbenen abgelaufen ist, kann dessen Name in eine Steinstele eingehauen werden.
Für berühmte Personen der Zeitgeschichte war es schon immer normal, ihrer in Inschriften zu gedenken. Steinbildhauer und Gestalter im Handwerk Vincent, Initiator des Projekts, weitet das für Normalbürger aus: „Niemand sollte in der Namenlosigkeit verschwinden, nur weil seine Ruhezeit angelaufen ist.“
Wir fügen eine Frage hinzu: Was wird es bedeuten, wenn irgendwann einmal die Bürger von Hagen auf einem Friedhof sich etlichen solcher Andenkenstelen mit vielen Namen darauf gegenübersehen – werden sie angesichts der vielen Unbekannten mehr Respekt gegenüber dem Leben generell zeigen, gegenüber den Nachbarn vielleicht, der Natur..?
Werden sie sich vielleicht selber weniger wichtig nehmen?
2,20 m ist solch eine Stele hoch, die 4 gleichen Seiten sind 45 cm breit. Pro Seite passen 35 Namen darauf, so dass jedes Exemplar die Erinnerung an 140 Personen tragen kann.
Timothy Vincent hat das Projekt 2013 in Hagen-Vorhalle gestartet. Inzwischen gibt es auf 7 Friedhöfen der Stadt die Stelen. Im Saarland wurden sie in 2 Ortschaften aufgestellt, eine Kommune hat dort das Projekt übrigens abgelehnt.
Woanders sind Weitere in Planung.
Das Konzept ist einfach: das Material der Stele ist heimischer Naturstein und kommt von einem Sponsor. In der Liste der Förderer gibt es bisher Natursteinfirmen, Bauunternehmen, Bestatter, aber auch einen Getränkegroßhandel.
In Hagen kümmert sich die Stadt um die Fundamente und die Aufstellung des Steins, genauer: das erledigt der für den Betrieb der Friedhöfe zuständige Wirtschaftsbetrieb (WBH). Der ist äußerst umtriebig und vor allem angesichts der Krise in der Bestattungskultur offen für neue Ideen.
Die Namen haut Vincent selber in den Stein. Kostenpunkt: 130 € pro Name. Davon wird er nicht reich, besonders angesichts der vielen Doppelnamen.
Allerdings rechnet er auch nüchtern vor: „Ich haue an einem Nachmittag immer ein paar Namen hintereinander, und dann sind die 130 € pro Stück doch so schlecht nicht.“
Und reich will Vincent mit dieser Idee auch gar nicht werden. Worum es ihm geht, ist „den Friedhof als Ort privater oder kollektiver Erinnerungskultur zu stärken“, wie er sagt.
Als engagierter Steinmetz will er auch sein Handwerk in die Öffentlichkeit bringen. Das gelingt unter anderem dann, wenn er neue Namen in den Stein haut: „Die Leute bleiben stehen und sind sehr interessiert, was ich da mache.“ Die Stele ist für ihn auch ein Ort der Geschäftsanbahnung.
Mehr noch: Beim Einhauen der Namen kann der Steinmetz sich als Zauberer in Sachen Zeit in Szene setzen. Bildlich gesprochen: anders als die Grauen Herren in Michael Endes Buch „Momo“, die den Leuten nur die Zeit stehlen wollen, hält der Steinmetz sie fest.
Dies in einer ganz einfachen und klaren Schrift, „ohne Verzierung, ohne Bronze“, so Vincent. Denn: „An der Stele sind wir alle gleich, bis auf den Namen.“
Der Wirtschaftsbetrieb Hagen beteiligt sich auch daran, Öffentlichkeit für die Idee zu schaffen. Steht für ein Grab das Ende der Ruhezeit an, spricht man wie üblich die Angehörigen an, ob sie verlängern wollen. Dabei wird auch über die Andenkenstele informiert.
Noch ein Wort zu Timothy Vincent: er stammt aus England, begann seinen Berufsweg als Feinmechaniker, absolvierte dann ein Studium als Diplomingenieur für Werkstofftechnik, entdeckte schließlich bei einem Natursteinunternehmen im Ruhrgebiet die Liebe zum Stein und bekam schließlich eine Ausnahmebewilligung für die Ausübung des Handwerks.
Zwei von Vincents jüngsten Projekten:
* eine „Route der Hagener Friedhofskultur“, die zu den 5 großen Friedhöfen der Stadt führt und dort auf besondere Grabmäler und Denkmale hinweist sowie die Qualitäten der Orte als Grüne Lungen herausarbeitet; das Projekt wurde beim Wettbewerb „Neue Wege auf dem Friedhof“ prämiert;
* der Ewigkeitsbrunnen als neues Konzept für die Beisetzung von Asche aus Verbrennungen.
Wettbewerb „Neue Wege auf dem Friedhof“
(04.09.2017)