Belgische Architekten haben dem zentralen Ort in Albaniens Hauptstadt eine Gestaltung mit vielen Bedeutungen gegeben
Naturstein zeichnet sich dadurch aus, dass, wenn er nass wird, seine Farbe kräftiger und dunkler erscheint. Das ist eine altbekannte Eigenschaft, die auf der Porosität des Materials beruht und die bisher allenfalls beim Verkaufen von Rohblöcken genutzt wurde. Jetzt aber haben die Architekten des belgischen Büros 51N4E sich dieses Phänomens bedient, nämlich für die Gestaltung des zentralen Platzes in Albaniens Hauptstadt Tirana: dort fließt von Zeit zu Zeit Wasser übers Pflaster, und entsprechend kommt und geht jedesmal die Farbe.
Es handelt sich um ausschließlich einheimische Steinsorten, und damit das Wasser auch wirklich fließt, hat der Platz eine sanfte Neigung. Da stecken viele tiefere Bedeutungen drin, und die wollen wir nacheinander behandeln.
Insgesamt handelt es sich um 30 Steinsorten, die in Albanien abgebaut werden oder wurden. Hier sind sie zu Fliesen von 45 x 45 cm mit 9 cm Dicke gearbeitet. Die Oberfläche ist rau gesägt, so dass auch bei Nässe keine Rutschgefahr besteht.
Schon der Prozess, die Sorten zusammenzustellen, war aufwändig: Je nach der aktuellen Verfügbarkeit der Steine wurde ein komplexer Plan erstellt, wie die einzelnen Farben auf dem Platz zu verlegen waren.
Der Effekt ist überraschend: Da läuft mancher Besucher unermüdlich über den ganzen Platz hin und her, ob er vielleicht irgendwo das Material aus seiner Heimat finden kann.
Unter diesem Pflaster liegt ein komplexes Rohrsystem, dessen Leitungen in mehr als 100 Brunnen und Fontänen münden. Die Pumpen dazu lassen sich einzeln oder in Gruppen anschalten, so dass dann plötzlich entweder die Fontänen sprudeln oder einfach nur Wasser über den Platz läuft: Es entstehen Rinnsale, Bäche, nasse Flächen. In ihnen spiegelt sich tagsüber die Sonne und nachts die Beleuchtung.
Damit das Wasser von selbst ablaufen kann, hat die Oberfläche eine Neigung von 3 Prozent. Man nimmt das kaum wahr, und es stört auch die Funktion der Gesamtanlage nicht.
Aber es hat einen symbolischen Effekt: am höchsten Punkt steht man um 2,3 m höher als drumherum und befindet sich damit exakt auf der Sockelhöhe der angrenzenden Oper, des Nationalmuseums und der Nationalbank.
Das schafft den Eindruck, als würde man sich mit den wichtigen Gebäuden auf Augenhöhe befindet, und diesen Eindruck wollten die Architekten gezielt erreichen.
Nicht nur die Steinsorten im Pflaster repräsentieren die nationale Einheit Albaniens. Auch der Grüngürtel rund um den Platz will das zeigen. Dort ist nämlich nicht Rasen gepflanzt, sondern wächst heimische Vegetation. So ergibt sich eine lockere Folge von kleinen Wäldchen, die wie die Bewässerung aus dem Platz auch zu einem erträglichen Kleinklima betragen.
Zahlreiche Möglichkeiten wie Spielplätze, Sitzgelegenheit usw sind hier integriert.
Dass der Grüngürtel nur Stückwerk ist, hinterlässt wiederum einen bestimmten Eindruck, dass das alles hier nicht abgezirkelte Bereiche sind, sondern Stadt in Bewegung ist.
So war es auch wichtig für die Architekten, dass der Platz für alle Albaner da ist. In einem Buch über die Gestaltung (Freek Persyn, Charlotte Lao Schmidt: 51N4E, Skanderbeg Square, Tirana, English, 96 Seiten, ISBN: 978-3-944074-21-4) heißt es, dass in Albanien nach den Jahren des Kommunismus nun ein wilder Kapitalismus herrsche, wo jeder sich an den Naturschätzen des Landes bedienen wolle. Das Pflaster und der Grüngürtel sollen hier zu einer Bewusstseinsänderung beitragen.
Die Umgestaltung des Platzes war für den Architekturpreis der Europäischen Union 2019 (Mies Award) nominiert. Hinter dem Namen steckt der Nationalheld Gjergj Kastrioti Skanderbeg (1405-1468), der unter anderem der Republik Venedig und dem Königtum Neapel diente. Vorher hatte er Karriere in der osmanischen Armee gemacht, bis er die Seiten wechselte und wichtige Schlachten gewann. Der Papst gab ihm den Titel „Verteidiger der westlichen Zivilisation“ und „Kämpfer des Christentums“.
51N4E architects
https://www.51n4e.com/
(11.10.2019)