Hochhaus Two Union Square in Seattle: die Steinwand zeigt die Urkräfte der Natur

Hochhaus Two Union Square in Seattle. Hochhaus Two Union Square in Seattle.

Die Architekten des Büros NBBJ haben die Lobby mit einem phantastischen Kunstwerk verziert / Von Picco Engineering kam die Planung für den Zuschnitt und die Installation der Elemente

Eine breite und hohe Treppe birgt immer ein magisches Versprechen in sich, nämlich dass der Besucher oben etwas Besonderes findet. Eine wirkliche Sensation liegt am Ende der Treppe im Wolkenkratzer Two Union Square in Seattle, USA: sie führt von den Eingängen im 1. und 2. Stockwerk in die Lobby in der 3. Etage und endet dort vor einer markanten Verwerfung in der steinernen Wand.

Das magische Versprechen ist hier die Gewalt der Naturkräfte, die dargestellt wird.

Manche Berichterstatter haben in dem Kunstwerk die Klippen der Umgebung wiederentdeckt, wir wollen darin eher das Wirken der Gletscher sehen, die zuletzt vor rund 15.000 Jahren die Gegend mit einem Eisschild von um die 1000 m Dicke bedeckten und dabei einerseits die Landschaft abschliffen und andererseits an manchen Stellen Moränen aus Sand und Findlingen auftürmten.

Oder, vielleicht sogar: wird hier die Tektonik der Erdplatten dargestellt, denn, nun ja, wir befinden uns an der Westküste der USA und irgendwann wird es irgendwo hier wieder eine heftige Bewegung im Untergrund geben.

Hochhaus Two Union Square in Seattle.

Großartig an dem Konzept des Architekturbüros NBBJ ist allein schon die Tatsache, dass eigentlich die ganze Wand gleichmäßig gerundet ist. Sie verkleidet den inneren Kern des Gebäudes. Nur an einer Stelle, eben dort wo die Treppe endet, wirft sich über der flachen Travertin-Verkleidung unsere „tektonische Störung“ auf, und dies nicht einfach von oben nach unten, sondern schräg.

Bei den Fahrstühlen gibt es noch eine kleinere Variante.

Seine Wucht bezieht das Kunstwerk aus der Abstraktion, mit der die Erdgewalten hier dargestellt sind: die „Störung“ wird gebildet mit Prismen, Tetraedern und unregelmäßigen Pyramiden, die ein wenig an Berge und Täler erinnern. Wobei Hoch und Tief jedoch nur angedeutet sind und sich nicht zu echten Bergketten oder Taleinschnitten auswachsen.

Das zeigt, wenn man so will, dass die Kruste dieses Planeten nie zur Ruhe kommen wird. Denn die Wärme als treibende Kraft im Inneren der Erdkugel stammt teils noch aus der flüssigen Phase vor Milliarden von Jahren und wird seitdem durch den Zerfall der radioaktiven Elemente immer wieder neu gebildet.

Auch Holz findet man in der Lobby, denn die Architekten wollten explizit die umgebende Landschaft in diese Etage des Gebäudes mit 56 Stockwerken hineinholen.

Das wiederum hat mit dem Konzept zu tun, das sie für die Erneuerung des Wolkenkratzers vorgelegt hatten: war die Lobby ehemals nur ein Ort, wo sich die Besucherströme aufteilten, bietet sie nun vielfältige Gelegenheiten, wo man sich hinsetzen und an mitgebrachten Mobilgeräten arbeiten kann. Bei der Suche nach Mietern ging es hier darum, „mehr vernetzte und mobile Unternehmen anzulocken“, wie die Architekten schreiben.

Hochhaus Two Union Square in Seattle.

Der Travertin an der Wand stammt aus den Steinbrüchen von Tivoli in Italien und wurde von der Firma Fratelli Poggi geliefert. Unter anderem suchte man schon im Bruch die Farben für die waagerechten Bänder heraus. Die vielen Schritte bis zur Anbringung an der Wand durch die Firma Synergism Stone sind detailliert in einem Online-Bericht in der Zeitschrift Architect des American Institute of Architects beschrieben.

Hochhaus Two Union Square in Seattle. Hochhaus Two Union Square in Seattle.

Eine besondere Rolle spielte dabei die kanadische Firma Picco Engineering: da innerhalb der tektonischen Störung jedes einzelne Element seine eigene Geometrie hat, waren nicht nur für das Zuschneiden exakte Vorgaben notwendig. Auch gab es für die Installation eine detaillierte Anweisung, denn die Elemente sind sowohl an der Wand dahinter als auch mit ihren Nachbarn verankert.

Die Montage erfolgte übrigens von oben nach unten.

Bei dieser außergewöhnlichen Wandgestaltung zeigte sich wieder einmal die Stärke von Naturstein: hätte man die Elemente etwa in Beton oder Kunststein herstellen wollen, wäre das Gießen und Zuschneiden viel teuer geworden. Mit der CNC-Planung und der direkten Umsetzung per Seilsäge lässt sich das jedoch schnell und kostengünstig ausführen.

Mit dem Travertin hat man zudem ein Material, dessen Oberfläche den Ausdruck von wilder Natur noch verstärkt.

Hochhaus Two Union Square in Seattle.

Insgesamt wurden 1650 Steinplatten für die Verkleidung im 3. Stockwerk verwendet. In der tektonischen Störung sind sie zwischen 3 bis gut 8 cm dick (1¼ bis 3¼ inch).

Unter anderem wurde ein spezielles Konzept für die Beleuchtung erarbeitet und im Model ausprobiert – so erreichte man, dass die Elemente nicht mehr als 5 cm aus der Wand herausragen müssen und die Verwerfung dennoch sehr plastisch erscheint.

Insgesamt erfolgte der Zuschnitt mit größter Präzision. Denn einerseits brauchte man sichtbare Fugen, um die Geometrie der einzelnen Elemente zu betonen; anderseits aber durften sie die Homogenität der Felslandschaft nicht unterbrechen.

Architect, Journal of the American Institute of Architects

NBBJ

Picco Engineering

Fratelli Poggi

Synergism Stone

(25.06.2020)