Warum und wie die Kreideriffs auf Rügen abbrechen: Feuchtigkeit aus dem Regen, dem Grundwasser und aus der Luft sind die wichtigsten Faktoren

Teil der zehn Kilometer langen Kreideküste auf Rügen. Foto: Phileaswolf / <a href="https://commons.wikimedia.org/"target="_blank">Wikimedia Commons</a>

Weil kleinere Abbrüche die steilen Wände aber auch vor dem Ostseewellen schützen, erhöhen trockene Sommer langfristig das Risiko des Niedergangs langer Kliffstrecken


Die zehn Kilometer lange Kreideküste von Jasmund auf Rügen wird fortwährend von Abbrüchen und Rutschungen geformt. Bislang wurden diese Ereignisse mit ergiebigen Regenereignissen in Zusammenhang gebracht. In einer mehr als zwei Jahre dauernden Studie haben Forschende um Michael Dietze vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ mithilfe von seismischen Sensoren und hoch aufgelösten Luftbildern ein viel detaillierteres Bild dieser Ereignisse gezeichnet. 



Die Rügener Kreideküste mit dem 118 m hohen Königsstuhl ist ein Wahrzeichen des Nationalparks Jasmund. Das Kliff besteht aus mikroskopisch kleinen fossilen Kalkalgen und geht im Schnitt pro Jahr um mehrere Dezimeter zurück, wobei immer wieder größere Teile abbrechen und dabei spürbare Erschütterungen auf dem Strand erzeugen.

Diese Erschütterungen sind wie kleine Erdbeben, die die Forscher nun mithilfe von seismischen Sensoren aufgezeichnet haben.

Die über 80 zwischen Frühjahr 2017 und 2019 beobachteten Abbrüche erlaubten es den Wissenschaftlern, mehrere ineinander verzahnte Triebkräfte für den Niedergang der Kreidewände zu identifizieren.

„Grundsätzlich ist die Durchfeuchtung des Kliffs entscheidend. Wasser wird dem Kliff aber nicht nur durch Regen zugeführt, sondern auch durch Grundwasserzufluss und Kondensationswasser aus der Luft, vor allem in den Nachtstunden“, sagt Dietze. „Daher kommt es bevorzugt nachts zu Abbrüchen, aber auch direkt nach Regenereignissen oder etwa einen Tag später.“

Die Abbrüche treten vor allem im Winter auf, weil die Bäume in ihrer Winterruhe kein Wasser aus dem Boden aufnehmen, und dieser so weiträumig vernässen kann.

Einen dramatischen Einfluss fanden die Forschenden bedingt durch sowohl überdurchschnittlich feuchte als auch besonders trockene Sommer: 2017, als 126 % des üblichen Niederschlags fielen, konnten sie 65 Abbrüche erfassen. Im Dürresommer 2018 (51 % des üblichen Niederschlags) gab es hingegen nur 11 solcher Ereignisse am Kliff.



Was die Folgen von trockenen Sommern langfristig für das Kliff bedeuten bleibt abzuwarten.

Und: Eigentlich stabilisieren die vielen kleineren Abbrüche das Riff, indem sie am Strand Material anlagern, das das Einschneiden der Wellen in den Klifffuß unterbindet. Fehlt dieses Sediment langfristig, wird das Kliff an der Basis destabilisiert und empfänglich für große Abbrüche, die die gesamte Wand erfassen können.

Die Forschenden haben die Sensoren im Frühsommer 2020 abgebaut und wollen jetzt auf der Nachbarinsel Hiddensee untersuchen, wie sich dort der direkte Einfluss von Wellen auswirkt. Zudem wird diese Insel immer wieder von Erdbewegungen erschüttert, die sich quer über den nördlichen Teil ziehen, zuletzt im Winter 2019, als ein Teil um 20 cm auf hunderten Meter Länge entlang einer Verwerfung absackte.



Dietze, M., Cook, K.L., Illien, L., Rach, O., Puffpaff, S., Stodian, I., Hovius, N (2020). Impact of nested moisture cycles on coastal chalk cliff failure revealed by multi seasonal seismic and topographic surveys. Journal of Geophysical Research: Earth Surface.

Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

(01.09.2020)