Der österreichische Künstler knüpft aus Zweigen Hohlkörper zusammen, die er mit flexiblem Papier überzieht und als Steine bemalt
Spaßeshalber hätten wir ihn noch fragen sollen, ob er vielleicht eine seiner Arbeiten auch in einem der vielen Geröllfelder weltweit versteckt hat. Zuzutrauen wäre es ihm, so wie wir ihn im Kontakt erlebt haben und wie ihn andere Leute beschreiben. Leider aber würden seine Steine draußen nicht lange überleben, denn Regen und Wind hätten die filigrane Arbeit schnell zerstört.
Hannes Ludescher ist ein ganz besonderer Bildhauer: zwar gestaltet er steinerne Formen, aber er meißelt sie nicht aus einem Stein heraus, sondern knüpft sie aus Gezweig zusammen und umgibt das Ganze mit einer Haut aus flexiblem Papier. Auf diese malt er die Oberfläche zum Beispiel eines Brockens, den er von irgendwo nach Hause mitgebracht hat.
Seine Geduld ist dabei schier unendlich. Dies nicht nur beim Durchstreifen der Berge in den österreichischen Alpen unweit von Feldkirch, sondern auch bei den Flechtarbeiten. Er nimmt dafür Zweige von Hasel oder Weide und auch Bambus, wenn der verfügbar ist, und dann formt er stundenlang aus ihnen den Hohlkörper, wie er ihn sich vorgestellt.
Warum er nicht einfach Styropor nimmt, haben wir ihn gefragt. „Das ist ein schnell zu formendes Material“, räumt er ein, „aber ich schätze es nicht besonders.“ Man konnte zwischen den Zeilen seiner Mail richtig die Abneigung gegen jenes künstliche und quietschige Zeugs hören.
Außerdem, und jetzt kommt das Wichtigste: das Gewicht seiner Konstruktion aus Ästen, die er sich aus dem Garten holt, ist erheblich geringer als das von Styropor – denn seine Steine bestehen ja fast nur aus Luft und sind gedacht fürs Fliegen.
Nun ja, sie schweben scheinbar.
Und dabei sind sie so täuschend echt und scheinbar wirklich schwer, dass, wie ein Besucher beim Blick durch Ludeschers Atelierfenster schrieb, man nicht glauben könne, wie diese Steine an einer Wand hängen könnten, weil doch diese Wand eigentlich sofort zusammenbrechen müsste. Jener Besucher fühlte sich an die surrealistischen Darstellungen des Malers René Magritte erinnert.
„Meine Objekte sind 10:1 Vergrößerungen von aufgelesenen, handgroßen Steinen: über eine feste Struktur von bearbeiteten Haselruten und Bambus wird eine elastische Haut aus Papier gespannt. Bemalt oder als Bildträger für Dias entstehen Körper, die ihre Schwere und Härte liegen lassen und den Luftraum erobern“, heißt es auf seiner Webpage.
Auch bei Ludescher gilt der Satz: kein Stein ist wie der andere.
Wir wollen uns jetzt kurz fassen, weil wir merken, dass auch unsere Gedanken von der Tastatur weg und ihre eigenen Wege gehen wollen. Fügen wir noch hinzu: Ludescher wurde 1946 geboren, vollendet also demnächst sein 75. Lebensjahr, studierte an der Akademie der Bildenden Künste Wien Malerei und Bildhauerei, hatte Aufenthalte in vielen Ecken der Erde und wandte sich 1989 den fliegenden Steinen zu. Wenig später erweiterte er sein Aktionsfeld um Dia- oder Videoprojektionen auf seine Steine.
An dieser Stelle sind unsere Gedanken schon unterwegs und sagen dem Leser abschließend nur noch: Fürchten Sie sich nicht, wenn irgendwo am Wolkenhimmel plötzlich ein Felsbrocken an Ihnen vorbeifliegt.
Vielleicht steckt Hannes Ludescher dahinter, der ein neues Aktionsfeld für seine Kunst entdeckt hat und seinen Steinen gerade die unendlichen Möglichkeiten der weiten Welt zeigt.
Fotos: Hannes Ludescher
(23.04.2021)