Der belgische Künstler gibt Stein, Stahl, Glas und Holz Funktionen, die man normalerweise nicht von ihnen kennt
Das Material steht im Zentrum seiner Arbeiten. Der belgische Künstler und Designer Gerard Kuijpers hat zum Bespiel einen Sessel mit Sitz und Rückenlehne aus weißem Marmor so gestaltet, dass man sich fragt, ob man sich da wirklich draufsetzen darf, so schön ist der Stein.
Oder seine „Dancing Stones“, inzwischen eine Art Markenzeichen: unübersehbar ist, dass hier eine große Masse in schiere Leichtigkeit versetzt ist, die man von einem solchen Stück nie erwartet hätte.
Er selbst drückt das schon im ersten Satz aus, mit dem er auf der Homepage in großen Buchstaben den Besucher empfängt: „Seit fünfunddreißig Jahren erforscht Gerard Kuijpers, Autodidakt, die wesentlichen Eigenschaften von Stahl, Stein, Glas und Holz. Auf diese Weise trifft er den Kern seiner Materialien, um dann die Kraft ihrer Interaktion zu nutzen.“
Tatsächlich verändert er das Material, genauer formuliert: er verändert den Eindruck, den der Betrachter davon hat. „Unerbittlich bewegt sich Gerard Kuijpers, überlagert, trennt und fügt zusammen, bis er den einen und einzigen Moment der Gnade findet, in dem das Glas klarer, der Stahl kälter, das Holz härter und der Stein zeitlos wird,“ heißt es in poetischer Ausdrucksweise auf seiner Webpage. Damit sind auch schon die 4 Materialien benannt, mit denen er arbeitet.
Wichtig für seine Art der Kunst ist auch, dass man die Mühe nicht einmal ahnt, die dahintersteckt: denn rohe Steinbrocken mit meist 180 kg Gewicht auf einem dünnen Stahlstab in Drehung zu versetzen, verlangt nicht nur ein genaues Wissen, welcher Stahl das aushält, sondern auch darüber, was es mit dem Schwerpunkt dieser Brocken auf sich hat und wie man die auftretenden Kräfte im Zaum hält.
Schließlich gehört zu den Tanzenden Steinen dazu, dass ein Fingerstoß oder einfach nur ein Luftzug sie in Bewegung setzt.
Auch die kreative Arbeit hat viel mit gedanklichem Tanzen zu tun: Kuijpers macht keine Entwürfe, sondern schaut sich die Steinbrocken lange an und lässt die Ideen dazu im Kopf kreisen. „Früher habe ich immer mit der Materie gekämpft, wenn ich auf bestimmte technische Probleme stieß, die ich nicht lösen konnte. Dann habe das Tanzen an die Stelle des Kämpfens gestellt, und dieser Paradigmenwechsel hat es mir ermöglicht, eine neue Kollektion zu entwickeln, die über meine Grenzen hinausgeht“, schreibt er.
Wir müssen nun endlich die zentrale Frage nach der Standfestigkeit dieser Kunstwerke beantworten:
* zum Einssatz kommt ein gehärteter Stahl;
* die Nadel, auf der der Stein ruht, läuft in einer Stahlbuchse im Stein, so dass die Reibungskräfte und Spannungen im Material minimiert sind;
* die Nadel ragt mindestens 10 cm in den Stein, so dass der dicke Brocken praktisch nicht herunterfallen kann;
* Kuijpers betont, dass sich solche Werke natürlich nicht für Kinderspielplätze eignen.
Aber was hat es mit jener Variante mit 500 kg Gewicht auf sich? Wir hören Kuijpers lachen, als er die Antwortmail an uns formuliert: das war mal ein Versuch, den er jetzt in seinem Garten stehen hat, schreibt er. Die Arbeit habe ihm gezeigt, dass mit mehr Gewicht die Wirkung nicht größer werde. Damit kommt er zum Material als solchem zurück: „Das Ziel dieser Kunstwerke ist eigentlich, den Geist und das Herz des Betrachters dazu zu bringen, sich zu fragen, wie leicht und sanft diese schweren Steine doch eigentlich sind.“
Aufgefallen auf seiner Homepage ist uns auch, wie sehr er betont, Autodidakt zu sein. Warum ist ihm da so wichtig? „Als Autodidakt wurde ich nicht beeinflusst von Lehrern oder Kunstrichtungen, nicht einmal von der Kunstgeschichte“, schreibt er ganz unaufgeregt.
Für viele seiner Arbeiten hat ihm das vielleicht die künstlerische Freiheit gegeben, dass er Alltagsgegenstände – wie den oben erwähnten Sessel – kreieren kann, die einerseits Möbelstück, aber andererseits unzweifelhaft auch Kunstwerk sind. Wir zeigen einige dieser Arbeiten, die wir gerne als Funktionale Skulpturen bezeichnen.
Fotos: Eline Willaert
(08.06.2022)