Ob er ein Faible für die Naturwissenschaften habe, hatten wir per Mail gefragt. Denn Georgi Minchev, Bildhauer und Künstler aus Bulgarien, scheint in fast allen seiner Skulpturen mit der Geometrie oder der Physik und gelegentlich auch der Chemie zu spielen. Seine Antwort aber zeigte, dass wir den Kern seiner Kunst nicht getroffen hatten: Natürlich interessiere ihn die Naturwissenschaft, mailte er zurück, schließlich interessiere ihn das Material, aber das rationale Denken entlang der Gesetze der Wissenschaften sei nicht seine Leitlinie.
Vielmehr interessiere ihn die „universale Sprache“, die alle Menschen verbinde, und darüber hinaus „die Philosophie, die in der Materie steckt“.
Das bedarf der genaueren Betrachtung, und seine Werke verdienen auch diese genauere Betrachtung, zum Beispiel die Steinskulpturen aus der Serie „Fragment of Something Larger“ (Teil von etwas Größerem).
Alle diese Arbeiten sind Objekte mit einer irgendwie rundlichen Form – als Kugel, als Ellipse, als Ei usw – und dann gibt es in jedem von ihnen Ausschnitte, die mit dem Gegenteil spielen, nämlich streng rechteckige Formen haben.
Damit nicht genug, und der Betrachter ahnt, dass es hier noch mehr zu sehen gibt.
Denn wenn man um solch eine Objekt herumgeht entdeckt man plötzlich Dinge, die von vorne nicht zu sehen waren. Es öffnen sich neue Ausschnitte der bereits beschriebenen rechteckigen Art, mitunter gibt es sogar Durchblicke durch das ganze Objekt, so dass man sich am Ende fragt, was denn zuletzt das ganze Kunstwerk zusammenhält.
Für Georgi Minchev sind Kreis und Rechteck Bestandteile der „universalen Sprache“, von der oben schon die Rede war. Beide seien ganz tief im Denken der Menschen verankert, schreibt er…
… und er als Künstler, das fügen wir unsererseits nun hinzu, grabe sie halt aus und spiele ein bisschen damit herum. Auf dass der Betrachter sich fragen möge, was er da beim Herumgehen um das Objekt eigentlich erblickt, das was da ist oder das, war er schon im Kopf hat.
Hm. So ganz können wir unsere Faszination an seiner Arbeit auch nicht in Worte fassen.
Jedenfalls waren die Objekte aus der Serie „Fragment of Something Larger“ für uns sehr ansprechend, wahrscheinlich auch wegen der ungeheuren Präzision, mit der der Künstler die rechten Winkel im Inneren des Steins ausführt. Als „chirurgisch präzise“ wird seine Arbeitsweise in einem Blog treffend bezeichnet.
Ganz anders die Serie „≈ ∞ Approximately Infinite“ (≈ ∞ Beinahe Unendlich). Hier benutzt er für den Titel sogar die beiden Symbole, die in der Mathematik für die Unendlichkeit stehen, und gibt sie in Form von Stahlseilen den Objekten auch gleich mit.
Die Seile sind mit einfachen Vorrichtungen unter Spannung gesetzt, und halten so die Einzelteile des Objekts zusammen. Das aber geschieht nicht immer mit der Präzision, die man von seinen üblichen Arbeiten kennt. Mitunter sind die Einzelteile nur Bruchstücke, die ohne das Stahlkabel praktisch wertlos wären.
Ein einer Beschreibung sagt er selbst: „die Spannung der Seile bringt die Einzelteile in eine ,unmögliche‘ Position zueinander und schafft eine ungewöhnliche, außerordentliche Ausstrahlung“.
Seine Eltern hatten mit Literatur zu tun, schreibt er auf unsere Frage. Das habe insofern mit seiner Kunst zu tun, als er die „Fähigkeit (habe), einen anderen Gang einzulegen“: die Bibliothek zuhause sei so groß gewesen wie die ganze Bücherei in der Stadt, und so habe er schon als Kind Bekanntschaft mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen der Dinge gemacht.
Er lebt in der Stadt Veliko Tarnovo, und ist Professor für Bildhauerei an der dortigen Universität.
Fotos: Georgi Minchev
(03.10.2022)