Der Architekt Enrico Sassi sich bezog sich beim Material auf die Bruchsteinfassaden und Dachschindeln der Bauernhäuser
Buchstäblich dem Dorf seinen Mittelpunkt zurückgegeben hat der Architekt Enrico Sassi in Sonogno im italienischsprachigen Kanton Tessin der Schweiz. Das hat er vor allem durch eine ganz außergewöhnliche Pflasterung der zentralen Straßenkreuzung und durch die dafür verwendeten Steinsorten erreicht.
Man muss dazu sagen: Sonogno hat laut Wikipedia 86 Einwohner und ist als typisches Alpendorf originalgetreu erhalten mit Bauernhäusern aus Bruchstein und Steinschindeln auf den Dächern. Der Durchgangsverkehr ist schon lange verbannt.
Aber Enrico Sassi hat sich bei der Gestaltung nicht dem Alten angebiedert, sondern das Neue sensibel aber deutlich als Neues erkennbar eingepasst.
Kaum irgendwo sonst kann man auf so engem Raum so viele schöne Naturstein-Oberflächen in verschiedenen Funktionen erleben.
Insgesamt gibt es viele kleine Details, die dem Besucher erst nach einer Weile ins Auge fallen.
Zum Beispiel der Würfel rechts auf diesem Foto. Frage an die Leser: was mag das wohl sein? Antwort unten.
Unter den Details ist an 1. Stelle der Innenkreis der Pflasterung auf der Piazza zu nennen. Die auffallend rötliche Farbe hebt sich deutlich von dem grauen Granit drumherum ab. Optisch bringt das Leben ins Ortszentrum.
Die rote Sorte Naturstein gibt es hier gar nicht, zumindest nicht im Handel.
Man findet sie aber im nahen Flüsschen Verzasca, in dessen Bett zahlreiche Brocken aus dem Material liegen.
Enrico Sassi hat einige der Stücke zersägen und zu kleinen Pflastersteinen behauen lassen – der Bergbach kommt jetzt direkt ins Dorf, könnte man sagen.
Wie mit dem Zeichenstift sind Steine verschiedener Formen im Pflaster arrangiert, wo sie bestimmte Verkehrsbereiche optisch voneinander abgrenzen.
Schließlich ist die Piazza gewissermaßen noch mit einer Granitmauer eingefasst. Mit deren gebürsteter Oberfläche wird eine deutliche Abgrenzung zum Mauerwerk der Häuser dahinter erreicht: hier geht der öffentliche Raum zu Ende und beginnt der private Teil des Dorfes.
Die Granitmauer wird von den Besuchern jedoch weniger als Abgrenzung denn vielmehr als Einladung zum Hinsetzen erlebt – das Öffentliche und das Private gehen auch für die Gäste ineinander über. Das wiederum unterstreichen die Quader am Rand der Piazza, die unübersehbar als Sitzmöbel platziert sind. Hier ist der Granit als Oberfläche auch gesägt.
An einer Stelle wurde ein Brocken aus dem ehemaligen Mäuerchen rund um die Piazza erhalten und als Deckstein in die neue Mauer eingesetzt.
Der innere Kreis in der Pflasterung hat einen Durchmesser von 5,80 m, der äußere von 17,50 m. Die Pflastersteine im Inneren messen 12×12 cm, drumherum haben sie verschiedene Maße.
Klar gegliedert ist ihr Muster, was das Wirrwarr der umliegenden Bruchsteinfassaden umso deutlicher sichtbar macht.
Der Platz ist – nicht nur optisch – der ruhende Punkt des Dorfes.
Die Gesamtfläche der Pflastersteine beträgt 596 m². Die Gesamtkosten beliefen sich auf 550.000 Schweizer Franken. Finanzielle Unterstützung gab es vom Schweizer Staat und aus einem speziellen Programm für die Alpendörfer.
Die Steinarbeiten hatte die Straßenbaufirma Cellere aus dem nahen Castione übernommen.
Ach ja, der schicke Würfel: Er beherbergt den Eimer für den Abfall.
Studio Enrico Sassi Architetto
Fotos: Alberto Canepa (Mail), TiPress, Enrico Sassi
(14.03.2019)