Die Kalksteinwerke Oetelshofen sehen die bedrohte Eulenart auf ihrem Gelände „als Sympathieträger“
„Wir sind ein Streichelzoo, in dem auch gesprengt wird“, lacht Jörg Iseke mit reichlich Selbstironie. Er ist Geschäftsführer bei der Firma Kalkwerke H. Oetelshofen mit Sitz unweit von Wuppertal, die pro Jahr rund 1,5 Millionen t Kalkstein abbaut und für ihr Uhu-Projekt berühmt ist.
Für die, die es nicht wissen: der Uhu (Bubo Bubo) ist die größte Eulenart weltweit. Die Art steht unter strengstem Schutz, und Jahrzehnte lang befürchteten die Naturschützer, dass sie aussterben würde.
Nun also die überraschende Erkenntnis: Uhus brüten nicht nur gerne in aufgelassenen Steinbrüchen, sondern sogar bei Oetelshofen unmittelbar neben einer Anlage, die voll im Betrieb steht. Und dass dort schwere Radlader auf und ab fahren, Brecher das Gestein zerkleinern und sogar ganze Felswände abgesprengt werden, stört die Tiere nicht.
Geschäftsführer Iseke lacht wieder und legt gleich noch eine Story nach: „Wenn unsere Uhus ausgewachsen sind, wissen sie sogar, dass es vor einer Sprengung ein Sirenensignal gibt. Wenn sie das hören, verstecken sie sich für eine Weile.“
Seit 2007 gibt es das Niederbergische Uhu-Projekt, angestoßen von der Firma Oetelshofen. Dazu gehören wissenschaftliche Forschungen zu den Tieren und Pflanzen auf dem Steinbruchgelände, und eine der Erkenntnisse stellte das Wissen um die seltene Eule geradezu auf den Kopf: glaubte man nämlich ehemals, dass es sich um extrem scheue und empfindliche nächtliche Jäger handelt, weiß man inzwischen, dass sie auch Kulturfolger sein können.
Das heißt, dass sie sich nahe beim Menschen ansiedeln und ihre Gewohnheiten anpassen. Jörg Iseke: „Wir wissen, dass manche Uhus auf den Streben der Schwebebahn im nahen Wuppertal sitzen und von dort auf die Jagd nach Ratten gehen.“
Eine andere Erkenntnis war, das im Naturschutz die Förderung der einen bedrohten Art nicht zwangsläufig zu Lasten einer anderen gehen muss. So verschmähen Isekes Uhus den ebenfalls bedrohten Feldhasen, der normalerweise ganz oben auf ihrer Beuteliste steht, und halten sich lieber an große Nager oder verwilderte Stadttauben.
Die ökologischen Zusammenhänge sind also auch hier komplex.
Das gilt ähnlich für andere bedrohte Arten im Steinbruch, etwa die Flussregenpfeifer (Charadrius dubius). Die brüten gerne auf Geröllhalten. „Wenn Brutzeit ist, lassen wir solche Zonen möglichst in Ruhe und halten uns im Abstand davon“, ist laut Iseke die einzige Konsequenz für den Betrieb im Steinbruch.
Um diese vielflätigen Aspekte zu einem Gesamtkonzept zusammenzubinden, braucht es zweierlei: erstens das Wissen um die Gewohnheiten der Tiere – weshalb es bei Oetelshofen zu Brutzeiten Aushänge mit Informationen für die Mitarbeiter gibt.
Und zweitens auch das Eingeständnis der Grenzen, die bei allem gutem Willen dem Naturschutz im Steinbruch gezogen sind. Iseke beschreibt es wieder mit einem Augenzwinkern: „Trotz der Tümpel, die wir anlegen, ist die Gefährdung für eine einzelne Kröte in unserem Steinbruch größer als etwa in einem abgelegenen Feuchtgebiet.“ Was er damit meint, ist, dass trotz aller Krötenzäune während der Zeit der Amphibienwanderung es immer wieder passiert, dass ein Tier dem Radlader in die Quere gerät, insgesamt die Populationen jedoch vom Leben im Steinbruch profitieren.
Woher aber weiß man bei Oetelshofen um die Gewohnheiten der Tiere?
Man nimmt es Jörg Iseke ab, dass er selber ein Faible für die Fauna oder genauso die wilden Orchideen im Steinbruch hat.
Nicht zuletzt aber bringen auch die behördlichen Auflagen quasi nebenbei viel Öko-Wissen ins Unternehmen: So muss die Firma ein jährliches Monitoring der Tier- und Pflanzenarten auf dem Gelände erstellen. Das machen externe Naturspezialisten, und das kostet pro Jahr die erkleckliche Summe zwischen 30.000 und 40.000 €.
Mitsamt ihrer Bestandsaufnahmen liefern die Experten aber auch Maßnahmenkataloge für den Schutz der bedrohten Arten, und damit hat die Firma gleich die Anleitungen, die sie braucht.
„Die Behörden üben einen starken Zwang auf uns aus, so dass wir uns mit dem Thema beschäftigen müssen“, akzeptiert Iseke den Stand der Dinge, wobei sein Tonfall keinesfalls verärgert oder frustriert klingt.
Eher im Gegenteil: er benutzt das Thema aktiv für die Öffentlichkeitsarbeit. War es vor 30 Jahren noch so, dass man eine seltene Pflanze im Steinbruch sofort ausriss, um bloß die Umweltschützer nicht anzulocken, gebe es heute „gegenseitiges Vertrauen“ zwischen Behörden, Privatleuten und dem Unternehmen.
„Inzwischen ist der Uhu unser Sympathieträger“, bringt es Iseke auf den Punkt.
In der Praxis geht es so, zum Beispiel: über die Brutplätze der Uhupaare weiß Oetelshofen Bescheid, weil vor der Saison der Naturspezialist mit dem Nachtsichtgerät unterwegs war. Wenn aber nun ein Brutplatz zu nah an der Kernzone des Abbaus liegt…?
… „Dann muss man das den Tieren eben sagen“, formuliert Iseke gelassen. „Dann machen wir dort ein bisschen Unruhe, und das Uhupaar sucht sich woanders eine geeignete Stelle.“
Fazit: „Das ist völlig unkompliziert.“
Und auch die Mitwirkung der Mitarbeiter verläuft problemlos. Denn erstens würden sie selber die Natur schätzen, und zweitens wäre ihnen klar, dass der Uhuschutz gewissermaßen ihren Arbeitsplatz sichere.
Um das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu tragen, erstellt derzeit der Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie eine Datenbank über Natur in aktiven und aufgelassenen Steinbrüchen.
Fotos: Klaus Tamm
(21.08.2019)