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Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen helfen, neue „Räume fürs Trauern“ zu finden und so auch
Weder der Friedhof in seiner herkömmlichen Form noch die Alternativen wie Urnengrab-Anlagen oder anonyme Bestattungen in Friedwäldern bieten wirklich das, was sich die Hinterbliebenen fürs Trauern wünschen. Andererseits aber brauchen die Menschen das Trauern, nämlich um Abschied zu nehmen vom Verstorbenen – der Verlust ist eine Wunde, die Schmerzen bereitet, und das Trauern ist das Mittel, die Wunde zu schließen.
Dies sind einige der Ergebnisse aus wissenschaftlichen Forschungen zum weiten Feld von Friedhof und Bestattung, die auf dem Kongress „Heilsame Abschiede“ im Oktober 2019 in Hamburg vom Zukunftsinstitut Matthias Horx und Vertretern des Lehrstuhls für Soziologie an der Universität Passau präsentiert wurden. Günter Czasny, stellvertretender Geschäftsführer der Ernst Strassacker GmbH, fasste Anfang März 2020 auf den Bildungstagen des Steinzentrums Hallein den aktuellen Stand der Diskussion zusammen.
In zahleichen Befragungen und Analysen haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass, vereinfacht gesagt, herkömmliche Bestattungsorte den Hinterbliebenen zu wenig Individualität erlauben. Czasny formulierte es deutlich: „Bestehende Friedhöfe sind für viele Menschen Orte der Verbote, der Regeln, der hohen Kosten, der Gleichmacherei und Bevormundung.“
Bei alternativen Formen sei es nicht besser, denn auch sie würden einen entscheidenden Wunsch der Hinterbliebenen nicht erfüllen – Trauern ist ein aktiver Vorgang und die Menschen von heute wollen ihn selber gestalten.
Hier wird es kompliziert, denn, so Czasny sinngemäß: Trauerarbeit ist nicht gleich mit Grabmalpflege. Bei den jüngeren Generationen wenigstens.
Fassen wir an dieser Stelle die Kernpunkte der Diskussion zusammen, um danach zu sehen, wie man den „Friedhof neu denken“ und neue „Räume für Trauer“ (Czasny) schaffen kann:
* es muss ein Widerspruch aufgelöst werden, nämlich: einerseits müssen Angehörige von der Verpflichtung zur Grabpflege entlastet werden, andererseits aber dabei unterstützt werden, dass sie am Grab etwas tun;
* ein „Beisetzungsort“ wird nur dann zu einem „heilsamen Trauerort“, wenn er von den Angehörigen so „in Anspruch genommen“ und „gehandhabt“ werden kann, wie sie es für die Bewältigung ihrer Trauerarbeit wünschen und benötigen;
* der Trauerort der Zukunft muss „kundenorientiert“ sein.
Czasny umriss bei seinem Vortrag einige Aspekte zukünftiger „Räume der Trauer“:
* „Sie ermöglichen individuelle oder gemeinsame Rituale und Handlungen des öffentlichen und dennoch persönlichen Abschiednehmens;
* sie brauchen eine einladende, zum Verweilen animierende Atmosphäre;
* sie müssen einen Rückzug aus dem Alltag ermöglichen, leicht erreichbar sein und ohne zeitliche Einengungen aufgesucht werden können;
* sie müssen frei von jedem organisatorischen Druck sein, ,Trauer-Handlungen‘ unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Gruppierungen ermöglichen und durch ihre sozio-räumliche Struktur von hoch privat bis hoch öffentlich eine individuelle
Trauer im kollektiven Rahmen möglich machen.“
Praktisch gesprochen, kann es sich um einen Ort der Kontemplation handeln, wo der Mensch zum Beispiel die Natur betrachtet. Genauso könnte solch ein Ort Begegnung und Kommunikation anstoßen und Gelegenheiten für Trauerrituale bieten.
Solche Rituale sind für manchen kollektive Vorgänge, andere wollen dabei ganz auf sich gestellt sein, für manche sind sie Blumen oder kleine Geschenke, die am Trauerort abgelegt werden.
Czasny kritisierte, dass in der Vergangenheit der Fokus allein auf dem Grabmal und dessen Gestaltung gelegen hätte. Statt dessen plädierte er für Vielfalt, in der jeder das für ihn Passende finden könne. Denkbar wären auch „raumprägende, sinnstiftende Objekte“, gestaltet vielleicht mit Stein.
Czasny plädierte an alle Beteiligten, Konzepte zu entwickeln. Am Projekt „Raum für Trauer“ ist auch der Bundesverband der Steinmetze (BIV) beteiligt.
Abschließend eine wichtige Fragen: Wie würde solch ein Ort sich finanzieren?
Dazu gab Czasny eine Antwort, als Gegenfrage formuliert: falls der Trauerort wirklich so wichtig für das Sozialwohl und Wohlbefinden der Bürger ist, sollte dann nicht die jeweilige Kommune zumindest eine Grundfinanzierung übernehmen?
Zukunftskongress „Heilsame Abschiede“
Aeternitas-Interview mit Trendforscher Matthias Horx
(27.03.2020)