Auch auf dem Erdtrabanten geht Gestein von hohen Lagen in tiefere, jedoch meist als Resultat von Einschlägen von Asteroriden
136.610 Gesteinsabgänge zeigt die erste globale Karte von Felsstürzen auf dem Mond – und das beweist, dass dort selbst die ältesten Landschaften noch immer im Wandel sind.
An steilen Abhängen können einzelne Gesteinsbrocken in Bewegung geraten; teils schlitternd, teils rollend und hüpfend stürzen sie in die Tiefe. Das ist auf der Erde so – und auch auf dem Mond, wenn auch auf der Erde gelegentlich in Form von Steinlawinen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und der ETH Zürich haben jetzt ein Archiv mit mehr als 2 Millionen Aufnahmen der Mondoberfläche ausgewertet und legen in der Fachzeitschrift Nature Communications die erste umfassende Karte der Felsstürze auf dem Erdtrabanten vor.
Ihre Auswertungen zeigen, dass dort natürlich nicht Verwitterung und auch nicht in erster Linie Mondbeben, sondern vor allem Einschläge von Asteroiden die Ursache sind.
Auch auf dem Mond hinterlassen Felsstürze beeindruckende Spuren, wie seit den ersten unbemannten Flügen zu unserem nächsten Nachbarn im All in den 60er Jahren bekannt ist. Während der späteren Apollo-Missionen untersuchten Astronauten solche Spuren vor Ort und brachten Gesteinsproben zurück zur Erde.
Eine Übersicht zu gewinnen, wie verbreitet solche Felsbewegungen sind und wo sie auftreten, war bis vor wenigen Jahren dennoch schwierig. „Die allermeisten abgestürzten Felsbrocken auf dem Mond haben einen Durchmesser zwischen 7 und 10 m“, erklärt der Erstautor der neuen Studie Valentin Bickel, der am MPS und an der ETH promoviert. „Frühere Raumsonden, die den Mond untersucht haben, konnten solch kleine Strukturen nicht überall sichtbar machen“, fügt er hinzu. Erst der Lunar Reconnaissance Orbiter der NASA kartiert seit 2010 die gesamte Mondoberfläche mit der nötigen räumlichen Auflösung und Abdeckung.
Ein Archiv mit mehr als 2 Millionen solcher Aufnahmen hat Bickel durchforstet. Dafür entwickelte er einen Suchalgorithmus, der auf der Grundlage neuronaler Netzwerke lernt, die typischen Spuren von Felsstürzen in Satellitenbildern zu erkennen.
Entstanden ist so eine Karte der Mondoberfläche zwischen 80 Grad nördlich und 80 Grad südlicher Breite, die 136.610 Felsstürze mit Durchmessern von mehr als 2,5 m verzeichnet.
Wie sich dabei zeigte, ist, dass Einschläge von Asteroiden gegenüber tektonsichen Beben eine deutlich wichtigere Rolle spielen. Sie sind anscheinend – direkt oder indirekt – für mehr als 80 Prozent aller Felsstürze verantwortlich.
„Ein Großteil der Felsstürze findet sich in der Nähe von Kraterwänden“, so Prof. Dr. Simon Löw von der ETH Zürich. Einige der Brocken lösen sich vermutlich bald nach dem Einschlag, andere deutlich später. Die Forscher gehen davon aus, dass nach einem Impakt an der Einschlagstelle ein Netzwerk aus Rissen im Untergrund entsteht. Teile der Oberfläche können so selbst noch nach sehr langen geologischen Zeiträumen mobil werden.
Selbst in den ältesten Landschaften des Mondes, also in den Gebieten der Präimbrischen Periode, die vor bis zu 4 Milliarden Jahren entstanden, finden sich an uralten Kratern Spuren von frischen Felsstürzen. Da solche Abdrücke nach einigen Millionen Jahren verwittern müssten, sind offenbar selbst diese alten Oberflächen noch immer im Wandel, selbst Milliarden von Jahren nachdem sie entstanden sind.
„Asteroideneinschläge beeinflussen und verändern die Geologie einer Region offenbar über sehr, sehr lange Zeiträume hinweg“, so Bickel. Zudem legen die Ergebnisse nahe, dass sich auch andere, sehr alte Oberflächen auf Körpern ohne Atmosphäre wie etwa auf dem Merkur oder dem großen Asteroiden Vesta noch immer verändern könnten.
Dort, wo die Felsstürze nicht in Zusammenhang mit Kratern stehen, deutet viel auf einen seismischen oder vulkanischen Ursprung hin. So fanden die Forscher etwa Gesteinsabgänge an vermutlich seismisch aktiven tektonischen Gräben und an Vulkanschloten mit charakteristischen Rissen und Gängen. Die neue Übersichtskarte kann so helfen, noch unbekannte, seismisch aktive Regionen zu identifizieren. Für künftige robotische oder gar bemannte Missionen zum Mond stellen solche Gebiete eine potentielle Herausforderung dar.
Bickel VT, Aaron J, Manconi A, Loew S, Mall U: Impacts drive lunar rockfalls over billions of years. Nature Communications, 8. Juni 2020, DOI: 10.1038/s41467-020-16653-3
Quelle: Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS)
(23.06.2020)