Meteoritical Society bestätigt: der Steinbrocken, der schon 1989 in einem Garten in Blaubeuren gefunden worden war, ist tatsächlich ein Meteorit

Der gut 30 kg schwere Meteorit ,Blaubeuren“. Foto: Gabriele HeinleinEgal ob Marmor, Granit oder Meteorit – die Säge beim Steinmetz will nur sägen. Foto: Gabriele Heinlein

Die Geschichte dieses sozusagen schwäbischen Himmelskörpers ist schon außerirdisch, und die Diamantsäge eines Steinmetzen aus dem Allgäu spielt eine Nebenrolle

Der Zufall schlägt auch in der Wissenschaft gelegentlich die verrücktesten Kapriolen. Und manchmal spielt in einer schier außerirdischen Geschichte auch die Diamantsäge eines Steinmetzen eine Rolle.

Der Reihe nach. Ein Hausbesitzer stößt 1989 beim Ausheben eines Kabelgrabens auf seinem Grundstück im schwäbischen Blaubeuren mit dem Spaten auf einen Stein von 28 x 25 x 20 Zentimeter Größe. Aus einem halben Meter Tiefe lupft er ihn an die Oberfläche, der Stein kommt ihm dabei ungewöhnlich schwer vor. Mit einem Magneten stellt der Finder fest, dass der Stein eisenhaltig ist.

Danach liegt der kantige Brocken Jahrzehnte im Garten. Auf die Idee, dass es sich um einen Besucher aus dem Weltall handeln könnte, kommt der Finder erst 31 Jahre später und fragt mit seinem Fund im Januar 2020 beim Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an.

Nach einem Telefonat und dem Übersenden zahlreicher Fotos schickte er schließlich ein abgeschlagenes Fragment mit 23,4 g Gewicht an DLR-Professor Dieter Heinlein. Der Fachmann tippte nach einer Prüfung durch Augenschein zunächst auf Eisenerz, doch dann griff er zur Diamantsäge und schnitt das kleine Stück auf – und staunte nicht schlecht: er erblickte eine für Steinmeteorite typische Matrix aus Millimeter kleinen Chondren, Kügelchen, die bei der Entstehung des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden und die Urbausteine aller Planeten darstellen. Auch entdeckte er typische Einschlüsse von Metallen.

Am 9. Februar 2020 übergab der Finder den Hauptbrocken dem DLR treuhänderisch für weitere Untersuchungen. Wenig später wurde im Garten des Finders ein weiteres Fragment von 410 g gefunden. Auch dieser ‚Beifang‘ wurde wissenschaftlich intensiv untersucht.

,Blaubeuren‘-Dünnschliffe unter dem Polarisationsmikroskop. Quelle: Addi Bischoff, Institut für Planetologie, WWU Münster.

Das Hauptstück solle in Absprache mit dem Finder angeschnitten werden, um das chondritische Gefüge des Meteoriten und seine Einschlüsse näher untersuchen zu können. Aber selbst Dieter Heinlein mit seinen Spezialwerkzeugen war überfordert: „Einen so großen Brocken hatte ich noch nie im Labor!“

Aber er fand einen Fachbetrieb, die Werkstatt des Allgäuer Steinmetz- und Bildhauermeisters Peter Fraefel in Mindelheim. Dort wurde nach intensiven Planungen und Vorbesprechungen ein 576 g schweres Eck des Meteoriten abgesägt.

Am 30. Mai 2020 wurde die Diamantsäge angesetzt.

Die chemische und mineralogische Analytik fand – sehr diskret, denn Heinlein und das DLR ahnten um die Brisanz des Fundes – in drei unterschiedlichen, spezialisierten Laboren statt: Untersuchungen am Naturhistorischen Museum Bern zeigten, dass der Stein nach seinem Fall im schwäbischen Juraboden verwitterte. Damit war ‚Blaubeuren‘ sozusagen definitiv ein Schwabe.

Die Schnittfläche an ,Blaubeuren‘ mit metallischen Einschlüssen. Quelle: DLR/U. Köhler.

Im Felsenkellerlabor der VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf e. V. beurteilte man denVerwitterungszustand: vermutlich fiel der Meteorit schon vor mehreren Jahrhunderten auf das Schwabenland.

Am Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) wurden Dünnschliffe angefertigt, um unter dem Durchlicht-Polarisationsmikroskop die chemische, mineralogische und petrologische Zusammensetzung des Objektes zu bestimmen. Danach ist ‚Blaubeuren’ ganz offensichtlich eine so genannte Brekzie, ein Gestein, das aus Bruchstücken zusammengebacken wurde.

„Der Brocken hat in der Vergangenheit mindestens eine heftige Kollision erlebt. Das sehen wir bei H4- und H5-Chondriten häufig“, erläutert Professor Addi Bischoff von der WWU Münster. Dahinter verbirgt sich das Eisen- und Magnesiumsilikat Olivin, das fast drei Viertel der mineralogischen Bestandteile des Meteoriten ausmacht.

Mit diesen Untersuchungen im Hintergrund wurde ‚Blaubeuren‘ am 16. Juni 2020 beim Nomenklaturkomitee der Meteoritical Society eingereicht: Schon drei Wochen später, am 07. Juli, wurde er als Meteorit anerkannt und im Bulletin der Society publiziert. Mit einer Masse von 30,26 kg ist er der größte Körper himmlischen Ursprungs, der je in Deutschland gefunden wurde! Nach seinem Fundort, dem mittelalterlichen Städtchen 17 Kilometer westlich von Ulm, trägt er den offiziellen Namen ‚Blaubeuren‘.

Größenvergleich: ,Blaubeuren‘ mit ,Machtenstein‘ und ,Cloppenburg‘. Quelle: DLR/U. Köhler.

Vor ‚Blaubeuren‘ war der unweit von Oldenburg gefundene ‚Benthullen‘-Meteorit mit einem Gewicht von 17,25 kg der Rekordhalter. Die Dichte von ‚Blaubeuren‘ wurde mit 3,34 g pro Kubikzentimeter bestimmt, was von einem signifikanten Anteil an Eisen und Nickel herrührt.

Für die Erforschung der frühen Entwicklung des Sonnensystems spielen Meteorite eine herausragende Rolle. Schließlich gelangen sie von ganz alleine und ‚kostenlos‘ auf die Erde. Die meisten stammen ursprünglich aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, bevor sie in ihrer Bahn gestört auf einen Kollisionskurs mit der Erde geraten. Sie treten mit hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein. Daher ist es selbst bei schweren Brocken aus Stein oder Eisen oft nur ein kleiner Rest, der als Meteorit auf die Erde gelangt. Zunächst verbleibt Blaubeuren noch beim Finder. Es ist der Wunsch des Eigentümers, dass der größte Steinmeteorit Deutschlands in einem Museum dauerhaft ausgestellt wird.

Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

Bulletin der Meteoritical Society

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(18.07.2020)