Das Gebäude aus den 1960ern verwendet neben Glas und Stahl auch viel Naturstein
Leute, die nicht ohnehin begeistert sind von Architektur, wissen auf den ersten Blick meist nicht viel mit Mies van der Rohes berühmter Neuer Nationalgalerie in Berlin anzufangen: angesichts von Beschreibungen wie „Tempel der Moderne“ sind sie meist enttäuscht von dem einstöckigen Bau mit Glaswänden und einem Stahldach, so unauffällig wie es am Rand des Kulturforums mit Philharmonie, Staatsbibliothek und Gemäldegalerie liegt.
Wo also ist die Architektur im Fall dieser Ikone des Bauens, die von 1963-1968 entstand? Und gleich noch eine weitere Frage: wo sind die Spuren der seit 2006 erfolgten Generalsanierung, die ein heutiger Architekt auch mit großem Namen, nämlich David Chipperfield, durchgeführt hat?
Beides geht zusammen: Mies hatte in dem Bauwerk seine Idee eines „Universalraums“ beinahe in Reinform realisiert: es sollte eine niedrige Halle ohne Stützen sein, in der aufgrund ihrer räumlichen Großzügigkeit jede Art von Nutzung möglich wäre. Dass seine Gestaltungsarbeit dadurch praktisch nicht sichtbar sein würde, nahm er hin.
David Chipperfield und seine Mitarbeiter ihrerseits haben dieses Konzept aufgegriffen und sich ihm unterworfen, indem sie zwar das Gebäude für eine moderne Nutzung fit gemacht haben, dabei aber keine erkennbaren Spuren ihres Wirkens hinterließen. Chipperfield räsoniert darüber in den Presseunterlagen: „Ein Gebäude von solch unantastbarer Autorität zu zerlegen war eine merkwürdige Erfahrung, aber ein Privileg … Hinter die Fassade zu blicken hat ihre Genialiät und zugleich ihre Mängel offenbart, jedoch meine Bewunderung für Mies‘ Vision nur unterstützt.“ Er und sein Team hätten sich als „unsichtbare Architekten“ verstanden, heißt es in den Unterlagen.
Wir wollen hier einfügen, dass alle Beteiligten die Zusammenarbeit mit dem Büro Chipperfield ausdrücklich und geradezu überschwänglich loben. „Die Qualität der Teamarbeit“, habe ihn überzeugt, sagte Arne Maibohm, Projektleiter beim zuständigen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, bei einer Presseführung. „Bei solchen Vorhaben braucht es einen starken Moderator.“ Mitunter schwierige Kompromisse waren zu finden zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin als Nutzer, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Bauherr, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als ausführender Arm des Bauherrn und dem Landesdenkmalamt.
Wir wollen nur einige der besonderen Aufgaben bei der Grunderneuerung nennen:
* die Neue Nationalgalerie bringt es heute bei erfolgreichen Ausstellungen schon mal auf 7000 Besucher an einem Tag – Mies hatte für die damaligen Anforderungen eine Garderobe mit 80 Hutablagen geplant;
* es war Platz war für die Erfordernisse der Eventkultur von heute zu schaffen, also mehr Raum für die Buchhandlung und für das Merchandising;
* nicht zuletzt die Technik: zum Beispiel waren die Glasscheiben in der Fassade thermisch von den Stahlpfosten zu trennen, um künftig Risse im Glas zu vermeiden; auch für den Fall, dass Skater in das Glas fahren würden, war Vorsorge zu treffen;
* und dann noch das Übliche: viel Asbest war zu entfernen, energiesparende Technik und Wärmedämmung war einzubauen, barrierefreier Zugang war zu gewährleisten und vieles mehr.
Sehr anschaulich und detailliert ist das auf der Webpage Neue-Nationalgalerie-Elements beschrieben (Link siehe unten). Wir wollen uns auf die Aspekte rund um Naturstein beschränken.
In einem separaten Text aus unserer Reihe Steindetail gehen wir kurz auf die „Mies’schen Ecken“ ein.
https://www.stone-ideas.com/86483/neue-nationalgalerie-miessche-ecke/
Im Gegensatz zu der quasi materielosen Außenhaut aus Glas verwendete Mies an vielen Stellen Naturstein. Er war damit sehr vertraut, denn sein Vater war Steinmetzmeister an der Aachener Dombauschule.
Vor allem Granit wurde verwendet, daneben gibt es einen spektakulären Akzent mit Marmor.
Striegauer Granit findet sich außen um das Gebäude herum und an der Wand im Skulpturengarten. Dass diese Sorte zum Einsatz kam, hängt mit einer Kuriosität der Geschichte zusammen: „Das Material wurde damals verwendet, weil das Nachbarland Polen in Zahlungsschwierigkeiten steckte und der Stadt Berlin Steine statt Devisen lieferte“, heißt es auf der Webpage.
Auf der Terrasse wiesen zahlreiche Granitplatten schwere Schäden auf. „Nachdem bei einer Sanierungsmaßnahme in den 1980er Jahren die Platten auf groben Flusskies gebettet worden waren, entstanden zahlreiche Durchbrüche, Abbrüche und Risse“, informiert die Webpage.
Derselbe Granit findet sich auch an der Verkleidung des Betonsockels rund um das Gebäude herum. Sie ist ein bautechnisches Denkmal, nämlich eine der ersten vorgehängten hinterlüfteten Natursteinfassaden und Deutschland. Wie auch sonst bei der denkmalgerechten Sanierung wurde hier größter Wert auf die Details gelegt: „Auch für den Nachbau der bauzeitlichen Anker (übliche Flachanker als Einmörtelanker mit einer sehr geringen Stegbreite) musste ein statischer und thermischer Nachweis erbracht werden“, so die Webpage. „Damit konnte die Fuge wieder mit 6 mm Breite hergestellt werden.“
Der Bodenbelag in den Ausstellungshallen oben und teilweise unten ist Epprechtsteiner Granit aus dem Fichtelgebirge belegt. Hier wiesen die Platten auch nach 50 Jahren kaum Schäden auf. Auch als es an die Sanierung der Fußbodenheizung ging und die Platten aufgenommen werden mussten, gab es kaum Bruch.
Nun hat die Halle nicht nur eine Heizung auf neuestem Stand, sondern auch noch eine Kühlung. Die aufgrund des Natursteinbelags große Speichermasse des Bodens hilft, bei geringem Energieverbrauch ein konstantes Raumklima zu erreichen.
Insgesamt wurden 14.000 Granitplatten katalogisiert, aufgenommen, zwischengelagert und schließlich an der ursprünglichen Stelle wieder installiert.
Eine Abweichung von der Idee des stützenfreien Universalraums stellen die beiden Versorgungsschächte in der oberen Halle dar. Sie wirken, als würden sie das Dach tragen, verbergen aber in ihrem Inneren nur die Leitungen für Klimatechnik, Elektro und Regenfallrohre. Das Dach ruht allein auf den 8 Stahlsäulen, die auf der Terrasse um das Gebäude herumgestellt sind. Das Dach wurde übrigens komplett am Boden vormontiert, dann per Hydraulik angehoben und auf den Säulen abgesetzt.
Mies hat die die beiden Versorgungsschächte, auch wenn sie eine Abkehr vom Universalraum abverlangten, nicht zu verbergen gesucht: sie sind raumhoch mit grünem Marmor von der griechischen Insel Tinos verkleidet. Ausgesucht wurden Rohplatten ohne vorherrschende Linien in der Struktur. Am Ende wurden sie aber doch so angeordnet, dass sich durchgehende Linien vom Dach bis auf den Boden ergeben.
Noch einige Details:
* im Untergeschoss kann man auf eine Zeitreise gehen: die Toiletten sind im Originalstil der 1960er wiederhergestellt; dafür wurden die Waschbecken vom Hersteller Lauffen anhand der Beschreibungen aus dem Firmenarchiv nachproduziert; auch die kleinen Wand- und Bodenfliesen künden aus jener Zeit. Im ganzen Gebäude wurden die Schalter, Taster und Steckdosen rekonstruiert;
* eine Ahnung von dem Gewicht des Daches (rund 1200 t) bekommt man in der neu geschaffenen Garderobe im Untergeschoss: dort steht ein Betonpfeiler frei, auf dem obendrüber eine der Stahlsäulen für das Dach ruht. Die Arbeitsplatte in der Garderobe besteht aus Labradorgranit wie zuvor in der – ehemals viel kleineren – Garderobe im Obergeschoss.
Die Gesamtkosten der Erneuerung beliefen sich auf 140 Millionen €. Sie lagen um 30 Millionen über den Planungen. Die Eröffnung verzögerte sich um ein Jahr.
Die Demontage und Wiedermontage der Natursteinplatten erledigte die Berliner Firma Gebauer. Die Wiedermontage Naturstein innen übernahm die Firma FX Rauch.
Steindetail: Mies‘sche Ecke
(31.05.2021)