„Air des Carrières“ (Luft aus den Steinbrüchen) nennt sich das Projekt, das die Sommerhitze in der City punktuell mildern will
Eine der Besonderheiten von Paris ist, dass es unter der Stadt zahlreiche und teilweise große Höhlen gibt, die durch ein weitläufiges System von Gängen miteinander verbunden sind. Manche dieser Gänge verlaufen nahe der Straßendecke, und alle haben im Inneren eine konstante Temperatur von 14 Grad, unabhängig vom Wetter an der Oberfläche. Die Bürger und Touristen aber erleben im Sommer die ganze Stadt häufig als Wärmeinsel mit brütenden Temperaturen – könnte man nicht die Kälte im Untergrund anzapfen und damit eine Art von Kühlung in den Straßen und Plätzen realisieren?
Gedacht, getan. „Air des Carrières“ (Luft aus den Steinbrüchen) heißt das Projekt. Es handelt sich um eine Sitzbank aus dem Kalkstein Pierre de Bourgogne. Sie ist aus Einzelelementen zusammengesetzt.
Die kühle Luft wird mit Gebläsen aus dem Untergrund nach oben geholt und durch Schlitze aus der „Klima-Sitzbank“ herausgepustet.
Wohlgemerkt, also: es handelt sich nur um eine Ventilation, die den Menschen punktuell etwas Erleichterung verschafft, nicht um eine Klimaanlage, die die Temperaturen generell senken soll.
Installiert wurde der Prototyp auf der Place Jeanne d’Arc im 13. Arrondissement. Das Konzept stammt von Emma Lelong (Designerin und Szenografin), Rémi Nguyen (Designer), Frédéric Blaise und Guillaume Duranel (Architekten, Studio Alt), Julia Lenoir (Architektin und Stadtplanerin). Die Idee entstand im Rahmen einer Ausschreibung des Projektes Faire, das nach innovativen Designideen sucht. Unterstützung kam vom Pavillon de l’Arsenal und der Stadt Paris.
Beteiligt an der Realisierung waren verschiedene Firmen, die die Fragen der Elektrik, des Metalls sowie der Klimatisierung klärten. Den Naturstein lieferte die Firma Rocamat.
Der Stein gibt einerseits den Elementen der Klima-Sitzbank das nötige Gewicht, um stabil zu sein, andererseits gibt er den Sitzflächen eine erfrischende Kühle.
Würde man die kühle Luft aus der Tiefe nur mit Ventilatoren verblasen, gäbe es das Problem, das sich Leute verletzen oder dass solch eine Anlage durch Vandalismus kaputt gemacht würde.
Technisch gesehen ist das Verfahren woanders schon lange in Anwendung. Beim so genannten provenzalischen oder kanadischen Brunnen (puits provançal, puits canadien) wird die Luft aus einem Haus durch ein Rohrsystem im Untergrund gepumpt. Üblicherweise sind die Temperaturen im Boden auch ohne große Höhlen konstant und liegen zwischen 10 und 15 Grad.
Die Hohlräume unter Paris, teils berühmt als Ort der Katakomben, gehen auf eine geologische Besonderheit zurück: unter Stadt liegen die Baumaterialien für die Siedlung obendrüber. Schon zu den Zeiten der Römer wurden teils in unterirdischen Brüchen, teils damals noch vor den Toren der Stadt, die Kalksteine für das Mauerwerk der Gebäude gewonnen. Auch Kreide gewann man in großen Mengen und machte daraus Gips.
In den folgenden Jahrhunderten wuchs die Siedlung über das vorherige Umland hinaus. Die unterirdischen Grube wurden oft nur notdürftig verfüllt.
Im Dezember 1774 brach ein Stollen unter der heutigen Avenue Denfert-Rochereau zusammen und riss Häuser und Menschen in die Tiefe. Ludwig XVI. beauftragte den Architekten Axel Guillaumot mit der Kartierung und der Sicherung der Gänge und Höhlen. Die damaligen Maßnahmen sind in einem Beitrag in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift National Geographic unterhaltsam beschrieben.
Heute gibt es für das Management des Untergrunds eine eigene Behörde, die Inspection Générale des Carrières de Paris. Sie betreut Hausbesitzer und Bürger, wenn sich der Boden mal wieder in Bewegung gesetzt hat. Eine ihrer Services besteht in einer Sammlung mit 454 Karten im Maßstab 1:1000, die die ehemaligen Steinbrüche in Paris und Umgebung dokumentiert. Die Initiatoren von „Air des Carrières“ mussten bei ihrem Projekt natürlich auch die Zustimmung der Behörde einholen.
Eine abschließende Untersuchung hat gezeigt, dass die Klima-Sitzbank ihre Ziele erfüllt und sich für das harte Stadtleben eignet. Die Studio kann auf französisch heruntergeladen werden. Die Initiatoren suchen nach Partnern für eine Weiterführung des Projekts, auch im Ausland.
Download der Studie: Emma Lelong (Mail)
Agence Alt (französisch)
Inspection Générale des Carrières de Paris (französisch)
Broschüre der Inspection Générale des Carrières de Paris (französisch)
Fotos: privat
(18.09.2023)