Die jungen Architekten Barrault Pressacco halfen mit dem Kalkstein Pierre de Brétignac der Stadt, ihre Klimaziele zu erreichen
Weltweit einmalig ist das Naturstein-Geschehen in Frankreich insofern, als es dort das massive Bauen mit Stein gibt und man es kontinuierlich weiterentwickelt. Gemeint ist damit, dass ein Gebäude aus lauter kleinen und rechteckigen Steinblöcken errichtet wird, die nach der Art von Bauklötzen wie im Kinderspiel übereinander gesetzt werden. Wir hatten über einige Projekte der letzten Jahre berichtet, zu denen wir Berichte in der Fachzeitschrift Pierre Actual gefunden hatten.
Nun ist das massive Bauen sogar in Paris angekommen: in der Adresse 62 rue Oberkampf im 11. Bezirk unweit der Metro-Station Parmantier gibt es seit Dezember 2017 ein solches Gebäude. Es fügt sich in die umgebenden typischen Pariser Fassaden ein, als habe es seit der Stadterneuerung von Baron Haussmann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts dort gestanden.
Die Architekten kamen vom Büro Barrault Pressacco und ihr Denkansatz war, das Moderne mit dem Traditionellen zu verbinden. In einem pdf über das Projekt bringen sie es auf den Punkt: „Bauen heutzutage ist nicht ein isoliertes und abgehobenes Handeln, sondern die Antwort auf eine Frage, die schon früher angelegt wurde.“
Eines der Kennzeichen der Haussmannschen Fassaden war, dass das hohe Erdgeschoss mit seinen Geschäften und Cafés sich deutlich von den darüber liegenden Etagen abhebt. Barrault Pressacco unterstreichen das nun durch ihre Materialwahl: besteht die Fassade oben aus ockerfarbenem Kalkstein, ist es im Erdgeschoss grauer Beton. Der wurde geschliffen, um das Granulat sichtbar zu machen und so wieder eine Verbindung zum Naturstein obendrüber herzustellen.
Die große Besonderheit nun ist, dass die Fassade vom 1. bis ins 7. Geschoss aus massivem Stein besteht, der tragende Funktion hat. Es handelt sich um kleine Blöcke des Kalksteins Pierre Brétignac. Die Breite dieser Elemente ist meist 130 cm, ihre Dicke variiert von unten 35 cm bis oben 30 cm – vergleichsweise wenig für ein Gebäude mit 7 Geschossen.
In Einzelfällen wurde auch in der Fassade der oberen Geschosse noch Beton verwendet, etwa wenn aus statischen Gründen breitere Elemente gebraucht wurden. Deutlich heben sich die beiden Materialien jedoch immer voneinander ab.
Mit der Fassade verbunden ist im Inneren ein Stahlrahmen. In diesen sind die Decken eingelegt. Der Grund ist, dass die Last der Geschosse gleichmäßig auf die Steine der Fassade verteilt werden soll.
Für die Decken wurden aus Gewichtsgründen Brettsperrholzplatten (CLT) verwendet. Auf der Oberseite tragen sie auf einem Estrich ein Eichenparket, auf der Unterseite bleiben sie sichtbar.
Ein besonderes Anliegen war den Architekten mit ihrer Konstruktion auch, die Aufteilung der Räume im Inneren möglichst flexibel den Bewohnern zu überlassen.
Im Innenhof sind die Etagen abgetreppt. So bekommen die Wohnungen wertvolle Balkone, die nach Süden gehen.
Die Wärmedämmung des Gebäudes erfolgt innen auf der Fassade durch einen Hanfbeton. Das ist eine Mischung aus Pflanzenfasern mit Kalk und Wasser. Er wurde hier auf die Wände aufgespritzt und von Hand geglättet. Hanfbeton soll ein besonders angenehmes Raumklima schaffen, heißt es.
Was bei Haussmann die typischen Pariser Mansarden waren, sind bei Barrault Pressacco 2 zurückgesetzte Etagen mit umlaufenden Balkonen.
Bemerkenswert ist das lebhafte Raster, das die Kalksteinblöcke den Fassaden geben. Die einzigen rein dekorativen Elemente sind die schrägen Faschen auf 3 Seiten der Fenster.
„Es muss das richtige Material an der richtigen Stelle sein“, zitiert die Webpage Archicree die beiden Architekten. Derzeit beschäftigen sie sich weiter damit, wie Naturstein wieder stärker ins Baugeschehen zurückkommen kann.
Vor dem Neubau war die Adresse 62 rue Oberkampf lange Jahre ein Problemfall. Ursprünglich ein Hotel mit möblierten Dauerwohnungen war das Gebäude im Jahr 2009 so heruntergekommen, dass es vom Bezirk geschlossen wurde. Die Modernisierung übernahm die städtische Wohnungsbaugesellschaft RIVP. Sie ließ den Neubau mit 17 Sozialwohnungen errichten.
Jedoch war nicht nur soziales Wohnen ihr Ziel, es ging auch um aktuelle Umweltbelange. Mit Naturstein als Baumaterial konnten sich die beiden jungen Architekten in die Klimaziele der Stadt einbringen und den Wettbewerb gewinnen.
Ein wichtiges Kostenargument war die schnelle Bauweise mit den Fertigelementen, die nach einem strikt vorgegebenen Installationsplan auf die enge Baustelle geliefert und gleich verarbeitet wurden.
Die Gesamtkosten betrugen 3,2 Millionen €.
Archicree (französisch)
Fotos: Barrault Pressacco
(12.08.2019)