Der Vordenker unter Italiens Natursteindesignern fasste im Rahmen der virtuellen Marmomac Restart seine Konzepte aus den letzten Jahrzehnten zusammen
Raffaello Galiottos Vortrag im Rahmen der virtuellen Marmomac Restart trug den Titel „Steindesign für Produktserien“. Der Vordenker unter Italiens Natursteindesignern fasste die zentralen Themen aus seinen Arbeiten aus den letzten beiden Jahrzehnten zusammen.
Manchen wird das Thema einer seriellen Produktion von Objekten aus Naturstein erschrecken: für Steinmetze ist es oft schon ein Graus, dass Galiotto die Maschine mit Computersteuerung an den altehrwürdigen Marmor heranlässt. Und auch die Idee, Steinobjekte in größeren Stückzahlen herzustellen, sehen viele als einen Verstoß gegen eine Besonderheit des Materials, dass nämlich jedes Stück ein Einzelstück ist.
Galiotto aber will mit Hilfe der neuen Werkzeuge dem Stein neue Anwendungsgebiete erschließen und so auch für die entsprechend geschulten Designer neue Gestaltungsmöglichkeiten finden.
Dabei ist einer seiner Kerngedanken der Respekt vor dem Millionen Jahre alten Material.
Ideen dazu hat er schon vor ein paar Jahren im Rahmen des „Italian Stone Theater“ in Halle 1 der Marmomac präsentiert: es waren Designkonzepte, die den Abfall möglichst gering halten.
Galiotto zeigte Konzepte auf, wie man einen Steinblock so zerschneiden kann, dass man aus den Teilstücken, die man dabei gewinnt, möglichst viel machen kann. Eine Idee ist das Prinzip der russischen Matrjoschka-Puppen, bei denen ein Teil aus dem anderen hervorgeht. Galiotto erweiterte jenes Grundkonzept durch das Verdrehen und Neu-Komponieren der Einzelteile. Übrigens: bei dieser Art des Designs wird auch die Zahl der Schnitte reduziert, was Energie und Wasser spart (siehe unten: „Rekomposition und Zwillingsformen“).
An den Anfang seines Vortrags stellte Galiotto eine Analyse des Materials.
Er konstatierte, dass eine der Stärken des Steins in der Widerstandsfähigkeit gegen Kompression liegt (man kann ihn großem Druck aussetzen), eine seiner Schwächen liegt in der in der geringen Widerstandsfähigkeit gegen Flexion (Verbiegen).
Galiotto nannte eine ganze Liste an weiteren Merkmalen des Materials: Härte, Haltbarkeit, Farbigkeit und Adern. Und: Stein trägt Heimat in sich, was man vielerorts in den alten Städten erleben kann.
Er forderte die Designer auf, bei ihren Entwicklungen diese Eigenschaften des Steins zu beachten und zu nutzen – anders ausgedrückt: ein materialgerechtes Design zu machen, welches respektiert, was der Stein kann und was nicht.
Seltsam nur, dass er einen besonderen Aspekt gar nicht ansprach, nämlich das hohe Gewicht von Naturstein. Das führt nämlich in vielen Fällen dazu, dass Designobjekte sich auf den Märkten nicht verkaufen lassen.
Galiotto nahm in seinen Gedanken zum Design für Serien ausdrücklichen Bezug auf Andrea Palladio, den großen Architekten aus dem 16. Jahrhundert. Bei ihm hat er serielles Design entdeckt: bestimmte Formstücke werden in vielen Objekten wiederholt.
Auf der Marmomac hatte Galiotto schon 2018 zu Palladios 500. Geburtstag eine Kollektion von Badmöbeln gezeigt, die sich unverkennbar an dessen Linienführungen orientiert (siehe unten: „Palladio e il Design Litico“).
Die Ideen hatte er im Jahr darauf mit Inspirationen aus den Palästen Venedigs weitergeführt (siehe unten: „Der Marmor des Dogen“).
Daraus wiederum sind inzwischen viele Spielarten des seriellen Designs geworden, die Galiotto in seinen Fliesen-Kollektionen für die Firma Lithos Design entwickelt hat.
Raffaello Galiotto Industrial Design
„Rekomposition und Zwillingsformen“
(23.11.2020)